
Da sind wir wieder. Carl, nun erzähl: Was hat die unter die Erde getrieben?
Captain, habe im Univeren-Lexikon gesurft. Da unten läuft schon der x-te Durchlauf. Asteroiden, Meteoriten, Vulkane. Es kam immer was dazwischen. Nach deren Zeitrechnung geht der aktuelle Durchlauf erst einige Millionen Jahre, also noch relativ kurz. Aber auch dieses Mal ist gleich zu Anfang was aus dem Ruder gelaufen. Die Gene haben früh die falsche Abzweigung genommen. Das Unglück, dass sie da unten lange als Glück auf Erden sahen, nahm seinen Lauf. Als sie alles abgegrast und versmogt hatten, das Sonnenlicht nicht mehr zurückkam, wurde es brutig. Da blieben nur die Höhlen.
Jahre?
Sie haben sich das so eingeteilt, einmal um die Sonne ein Jahr, einmal um sich selbst ein Tag. Der Rest der Universen wird einfach außer Acht gelassen. Damit ihnen das eigene Leben nicht so kurz vor kommt wie ein Wimpernschlag, haben Sie sich eine Zeit gegeben. Sie sterben dann für ihr Gefühl langsamer.
Wo hast du das denn wieder aufgeschnappt?
„ChatGPT2100pro“ heißt die Maschine in der Bibliotheken-Funkstation, die wir entdeckt haben. Genial. Im ChatGPT ist echt alles gespeichert, was je aufgeschrieben oder gedacht wurde. Den Rest der Bücher und Annalen können wir vergessen, fast so gut wie unser Universen-Lexikon. Den Roboter ChatGPT können Sie gut und gerne mit den Urahnen unserer ersten Droiden vergleichen.
Wusste ich’s doch, Wander-Droiden, kennen wir ja, ziehen einfach weiter?
Nein, wie soll ich das erklären, Chef? Die Menschen haben ChatGPT erfunden. Das stellte sich am Ende als fatal heraus, dazu später mehr. Menschen sind keine Droiden, sie sind aus Fleisch und Blut, pflanzen sich fort, wachsen, lernen dazu, richten in kürzester Zeit maximalen Schaden an.
Wie das?
Weil es in ihren Köpfen spukt von Angst vor allem und jedem und Hunger auf alles. Das liegt ihnen im Blut oder den Genen.
Der Captain verstand das alles nur halb und bekam Kopfschmerzen. Als Novix Puto aus einem Universum, in dem nichts vergeht und alles besteht, empfand er Carls Erklärungen als universelle wüste Respektlosigkeit. Er war drauf und dran, sofort die Tatortreiniger zu rufen.
Carl, du redest in Rätseln. Gene? Wie, was, ich verstehe nur Bahnhof?
Sie werden nicht konfiguriert, nicht destilliert wie wir, sie verändern sich. Sie sind ja anders als wir, sie werden geboren und vergehen nach einigen Jahren.
Wie meinst du das?
Sie nutzen sich ab, sie werden älter.
Warum?
Die Zellen machen schlapp.
Zellen, Fleisch und Blut, Carl, hast du mal deinen Ladezustand überprüft, bist du überhitzt?
Chef, die da unten fänden uns genauso rätselhaft. Sie tun sich zusammen, das nennen sie Sex, dann teilen sich die Zellen, dann entstehen Embryos, dann..
Caaaarl, genug, das klingt unappetitlich
Sie leben seit Anbeginn in Rudeln und in tiefem Misstrauen, zu kurz zu kommen. Seit sie ein Bewusstsein entdeckt haben, werden sie von Angst und Hunger getrieben. Erst schlugen sie deswegen mit Keulen aufeinander ein und warfen mit Steinen. Aber, wie gesagt, sie lernen, sie entwickten auch diese Technik weiter mit Schwertern und Rüstungen, mit Gewehren und Kanonen. Am Ende haben sie fürs Prügeln Roboter gebaut. Letztlich ist ihre ganze Geschichte eigentlich eine Schleifspur, überspitzt gesagt, von Mord und Totschlag .
Gut, dass das bald ein Ende hat.
Nicht ganz. Sie passen sich an. Sie sind besessen von Neuem, glauben, alles im Griff zu haben. Eine fatale Einstellung. Als sie anfingen, selber die Welt zu modellieren, kamen sie mit dem eigenen Anpassen nicht mehr hinter. Sie haben das erkannt, aber da war schon zu spät. Das ist so, als wenn eine Kugel über eine Bergkuppe geschoben wird. Sie rollt, sie holpert, schlägt nach links und rechts aus, aber es geht immer weiter Berg ab. Endstation Tunnel. Jetzt warten sie ab und überlegen was Neues.
Dem Captain war klar, Carl phantasiert. Er schaltete langsam in den Snooz-Modus, angeekelt und verständnislos von den Fleisch-, Blut- und Sex-Geschichten. Carl erzählte munter weiter von Angst und Hunger, den beiden Antipoden, die die ganze Mordsgeschichte des aktuellen Versuchs prägen, in dem auch der Forscherdrang immer gefräßiger wurde. Sie wollten mehr und nahmen sich dafür von der Erde, was sie brauchten, weil sie in der irrigen Annahme lebten, dass es von allem mehr als genug gäbe. In diesem Wahn aus Hunger und Angst haben sie lieber den Planeten geplündert und angezündet.
Die letzten Fragen bleiben natürlich offen. Weshalb, wieso, warum? Sie leben in einer Zwickmühle. Sie können sich das Nichts gar nicht vorstellen, das ist Folter fürs Gehirn. Und das Etwas, also ihr Dasein, stellt sie, je intelligenter sie werden, immer wieder vor unlösbare Fragen, wenn sie in den dunklen Nachthimmel starren und die leuchtenden Punkte sehen, die sie so gerne auch erforschen würden, aber nie erreichen können. Sie erfanden Götter und Teufel, die alles lenkten, Hauptsache nicht von ihrer Welt. Aber das half auch nicht. Die Angst, mutterseelenallein im Universum auf einem winzigen Ball mit ungeheurer Geschwindigkeit herumgeschleudert zu werden wie in einem Karussell auf Speed, war niederschmetternd und hinterließ Eindruck bei Carl. Der mit seinen Erdmännchen allein war.
Der Chef hörte nur mit halbem Ohr zu. Für Carl waren die Erkenntnisse ein bisschen Abwechslung zu Est Procul, wo die Novix Puto zuhause waren. Da war alles glatt und durchstrukturiert. Jeder hatte seinen Platz, es gab nichts Zufälliges oder Auffälliges, es war determiniert für immer, von Zyklus zu Zyklus. Auf Est Procul konnte man einfach die Dioden abstellen, dann war nichts. Waren sie an, war etwas, das immer Gleiche, das nicht endende Muster. Für Carl und seinen Chef waren es die Inventur-Reisen durch die Universen.
Da waren Schnurren von verwirrten Aliens unterhaltsam. Vor allem, dass es auf ein und demselben Planeten Gestalten gab, die sozusagen noch im Urzustand lebten und nichts von den andern wussten, die auch den letzten Tropfen Öl, die letzte Tonne Erz und Kohle aus der Erde gruben und das letzte Kilo Seltene Erden verzockten. Zuhause fragte keiner, warum Inventuren, warum die Zyklen durch die Galaxien
Warum und vor allem für wen? Wer gab die Losung aus? Hält eine höhere Maschine alle Droiden sozusagen mit ABM von Fragen ab? Welcher Sinn steckt dahinter oder sind die Novix Puto befreit von Sinn? Carl kam ins Stolpern und dozierte längst für sich allein von Sein und Nichtsein. Der Chef war in den Back-Modus gerutscht. Carl aber sog immer mehr Irrungen und Wirrungen und Abgründe auf und war fasziniert – bis der Captain zurück war.
Carl, gib mir noch mal das Mega-Loop. Kannst du mir die schwarzen Streifen erklären, die alle Kontinente überziehen. Ist das Kunst und sind das Hieroglyphen?
Nein, das sind Wege. Sie haben ständig und überall hin Wege gebaut. Darauf haben sie sich in Kisten auf vier Rädern fortbewegt – am Ende sogar ohne zu lenken. Erst von A nach B, dann weiter nach C. Sie haben Handel getrieben und je ferner, um so lieber. Die Kirschen in Nachbars Garten sind ja immer süßer.
Carl, was redest du?
Das ist so eine Redensart auf der Erde. Für ihre Neugier und ihren Wissenshunger haben sie aber die Haut des Planeten ausgebuddelt. Das Bewegen mit den Kisten auf Pisten haben sie als Freiheit empfunden.

Carl, Blechbüchsen, Freiheit und jetzt sind sie unter der Erde. Sie hätten doch auf einen anderen Planeten wechseln können, schließlich stehen mittlerweile so viele leer. Das ist doch ein Trauerspiel.
Chef, sie haben sich zwar stetig weiterentwickelt, und es gab auch genug Warner, aber eben keinen gemeinsamen Sinn. Und ihre Fluggeräte sind Schnecken. Sie brauchen mit den kleinsten Kapseln, da passen keine zehn von ihnen rein, drei Monate bis da vorne zum nächsten roten Planeten. Und in den ersten Shutteln war nur Technik drin, kein Mensch.
Was ist das denn wieder, warum sollte man denn von einem verdorrten auf einen anderen verdorrten Planeten ausweichen?
Chef, das ist schon komisch, denn das ist eine echte Frostbeule namens Mars. Aber weiter kommen sie nicht. Einbahnstraße. Planet versaut. Aus.
Das wäre ja wohl auch zu schön, alles vermüllen und dann Abflug. Ich bin drauf und dran doch die Tatortreiniger an alarmieren.
Captain. Vielleicht machen die da unten im Winzigen nur das durch, was wir in den Universen immer wieder sehen. Try and Error. Unter der Erde leben ja nur noch ein paar Tausend. Sie nennen das Arche. Worauf sie warten ist unklar. Milliarden von Erdlingen sind dem Treiben vorher zum Opfer gefallen, Kriege, Viren und Hunger und Angst. Das sind sozusagen die Letzte von 104, um mal eines ihrer Lieder zu zitieren.
Wie, Lieder?
Chef, sie lieben nicht nur die verschiedenen Sinustöne wie wir, sie haben auf sogenannten Instrumenten musiziert und selber gesungen.
Die Menschen?
Ja, dann waren sie richtig fröhlich.
Warum haben sie dann nicht immer gesungen, statt dem Nachbarn die Kirschen nicht zu gönnen und zu rauben?
Warum, warum…
Und Carl erzählte, dass für den kurzen Zyklus, den die Menschen erst auf der Erde sind, eigentlich alles aus dem Ruder gelaufen ist. Sie haben ihr Ablaufdatum für den Planeten längst nicht erreicht, aber mit ihren durchschlagenden Misserfolgen selbst vordatiert.
Arme Kerle, und worauf hoffen die jetzt?
Dass die Luft wieder rein wird oder einer doch einen genialen Einfall hat. Aber bei der Vorgeschichte ist das mit Vorsicht zu genießen.
Und das alles nur, weil ein Gen mal aus der Reihe tanzt, das nenne ich Schicksal.
(Vol. III – Als die Roboter die Köpfe infiltrierten)
#Johann S. Kirsche wirklich sehr guter Kommentar;)
Klaas
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Veränderungen im Kaufhaus Lüneburg (1. Teil)
In einem altehrwürdigen Gebäude, möglicherweise dem Rathaus der Stadt, stellte man mich einem Vertreter der kommunalen Kulturbehörde vor. Er sollte mich zum Ort meines Vortrags bringen. Den Namen des Herrn konnte ich wegen meiner Schwerhörigkeit leider nicht verstehen, deshalb will ich ihn im folgenden mit Holzberg angeben. Nachdem wir ein paar Worte gewechselt hatten, machten wir uns auf den Weg. Überraschenderweise sollte mit einem Linienbus zu der Landeskrankenhilfehalle (als „Vorsteuerhölle“ überregional berüchtigt) am Stadtrand gefahren werden, wo ich den Vortrag halten sollte. Aus Höflichkeit übte ich keine Kritik daran. Alles, was ich sagte, war: „Keine Sorge, mich interessiert nur noch das Unausdenkliche.“
Ich nahm im vorderen Teil des Busses Platz, während Holzberg die Fahrausweise besorgte. Er hielt in jeder Hand einen zigarettenschachtelgroßen schwarzen Gegenstand und wedelte damit vor dem Gesicht des Fahrers herum, bis der Vorgang abgeschlossen war. Weil sich der Bus inzwischen stark mit Passagieren gefüllt hatte, konnte Holzberg nicht bis zu mir vordringen. Neben mir saß eine etwa siebzigjährige weißhaarige Dame, die mich fragend ansah. Was lag näher, als ihr von meiner beruflichen Tätigkeit und deren Bedeutung zu erzählen! Auch von Luft und Wasser sprach ich. Sie schwieg dazu, doch ihr Blick wurde immer fragender. Bemüht, ihr alles möglichst laienverständlich nahezubringen, konzentrierte ich mich vollkommen auf meine Rede. Erst nach einer ganzen Weile fiel mir die Frau wieder ein. Ich wollte an ihrem Gesichtsausdruck ablesen, ob sie mir folgen konnte, doch ein gleichgültig aussehender, dicker Mann saß jetzt auf ihrem Platz. Holzberg konnte ich ebenfalls nicht mehr entdecken.
(Fortsetzung folgt)
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Den Ludwig-Börne-Preis erhält in diesem Jahr Robert Habeck, der von 1999 bis 2001 in Lüneburg lebte. Dies hat der vom Vorstand der Ludwig-Börne-Stiftung gewählte Preisrichter Jürgen Kaube, Herausgeber der F.A.Z., entschieden.
In seiner Begründung schreibt er: „Wir leben in der steten Gefahr, dass im politischen Gespräch Argumente nichts mehr zählen, sondern ‚Narrative’. [Bestimmendes Element hinter einem ‚Narrativ‘ ist, dass Gründe und Wahrheit weniger zählen, als ein ‚eingängiges Bild‘ mit ‚emotionaler‘ Strahlkraft.] Habeck ragt unter denen heraus, die sich dem als Politiker und politischer Publizist widersetzen. Gesellschaftswissenschaftlich informierte und lebensweltlich grundierte Reflexion prägen seine Äußerungen. In den Zwängen der Politik erkämpft er sich auf beeindruckende Weise Freiräume durch Nachdenklichkeit. Das lässt ihn in der Tradition des politischen Publizisten Ludwig Börne stehen.“
Der mit 20.000 Euro dotierte Preis wird im Rahmen einer Feierstunde am 11. Juni in der Frankfurter Paulskirche verliehen.
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