Der Ratskeller döst schon viel zu lange

Lüneburg schmücken gut 1500 Baudenkmale – viele in gutem, manche in schlechtem Zustand. Darunter sind zwei verseuchte Lost Places, der Ratskeller und das Glockenhaus. Beides verlassene Orte, die eine zweite Chance verdient haben. 

Ob den Ausstellern im Glockenhaus früher zu Ostern und im Advent der Umsatz so viel Freude gemacht hätte und Hochzeits-Jubilaren, denen der Oberbürgermeister dort Kaffee und Kurchen kredenzte, hätten sie geahnt, was da so an Schadstoffen ums uralte Gebälk wabert? Wobei, wenn man es nicht übertreibt mit dem Aufenthalt, soll die Gefahr auch wieder verfliegen, heißt es in einem Merkblatt.

Heute dient das Glockenhaus vor allem als Stilles Örtchen für eine Pinkelpause. Jetzt aber soll der neue Bürgerrat mit 25.000 Euro Schubkraft im Rücken schauen, was dort möglich ist. Vorschläge stellt er im Rat vor.

Da sage ich, dann sollte auch ein Jugendrat im Ratskeller in dem weniger belasteten Clubraum einmal nachdenken dürfen, was man aus der coolen Location machen kann. Jugendpolitik mit dem ganz kurzen Weg zur Rathausspitze. Das ist der Marsch durch die Institutionen der 68er einmal ganz plastisch von ganz unten nach ganz oben.

Im Keller haben sich Legionen von Lokalpolitikern nach Ratssitzungen nicht nur reichlich dem Alkohol ausgesetzt, sondern zunehmend auch Zigarren- und Zigarettenqualm und in neuerer Zeit DDT oder Asbest. Wobei, so ein Ratskeller war nach einer hitzigen Sitzung auch eine Art neutrales Pflaster, um sich nach drei Bier wieder zu vertragen. 

Eigentlich müssten die Räume zum Masterplan der Sanierung des Rathauses gehören. Doch schon lange sind sie verwaist. Der letzte Anlauf einer Neueröffnung liegt mehr als eine Dekade zurück. 

Zum Hansetag 2012 sollte das, was zu einem Rathaus gehört, nämlich ein Ratskeller, wieder in Betrieb gehen. Wenn da nicht die Schadstoffe einen Strich durch die Zeitrechnung gemacht hätten. Alles zu teuer.

Ich schaue nicht das erste Mal auf diesen Ratskeller. Denn immer wenn ich den goldglänzenden Schriftzug unter den Arkaden des Rathauses sehe und dahinter die verrammelte und zugemüllte Tür, dann denke ich, das kann es doch nicht gewesen sein, das kann doch nicht das Ende sein. Bloß kein Dornröschenschlaf, die Königstochter soll ja hundert Jahre auf den Prinzenkuss gewartet haben.

Mein Gott, Lüneburg kann von Glück sagen, dass sich die Messmethoden für Schadstoffe und Grenzwerte erst in der Neuzeit massiv verschärft haben. Denn schon Lüneburgs Reichtum war ja nicht nur auf Salz gegründet. Das Salz wurde in Bleipfannen gesiedet. Unterm Strich hat das Spitzensalz als Beigabe Europa womöglich flächendeckend auch ein bisschen vergiftet. Für Regress ist es aber zu spät. Aber nicht für den Ratskeller. 

Hans-Herbert Jenckel

Foto; jj

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Journalist, Dipl.-Kaufmann, Moderator, Lünebug- und Elbtalaue-Liebhaber
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3 Antworten zu Der Ratskeller döst schon viel zu lange

  1. sanderthomasgmxde schreibt:

    Ein wenig Traffick künnte dem Keller verschafft werden, wenn dort zunächst allwöchentlich ein Seniorenbeiratsstammtisch per Sondergenehmigung unter der Leitung von Ulrich M. stattfinden würde. Zeitlich begrenzt natürlich um die durchschnittlichen Belastungsgrenzen nicht zu überschreiten.

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  2. Johann S. Kirsche schreibt:

    Noch zwei weitere Leuchttürme mit Magnetwirkung im Oberzentrum, lieber Herr Jenckel?

    Trifft denn nicht auch für Neu Darchau und Lüneburg zu, was Sylt, Mallorca oder Venedig gerade zu zerreißen droht?

    Wenn rund um den Ballermann gegen den Massentourismus protestiert wird, Gondolieri sich in der Lagunenstadt die Besucher mit einem Eintrittsgeld vom Leib halten wollen oder Kampener Kellner jeden Morgen auf dem Festland in den Zug steigen müssen, um den Gästen des Nobelclubs „Pony“ zu Gigi D’Agostinos „L’Amour Toujours“ die Champagnerflaschen zu öffnen, scheint die Frontlinie wie mit dem Lineal auch durch Lüneburg gezogen: auf der einen Seite die mit Wohnungsmangel, Stau und Premiumpreisen geplagten Einheimischen, die sich der Fremden nicht mehr anders zu erwehren wissen als durch blanke Wut; und auf der anderen Seite die Übertouristen, die gleich Heuschrecken über unsere schönsten Ecken der Welt herfallen.

    Allerdings haben nicht wenige, die nun in Lüneburg den Ausverkauf ihrer Heimat beklagen, einst kräftig daran mitgewirkt und sehr gut verdient. Die Menschen, die heute protestieren, sind häufig Zugezogene und die, die vom Tourismusboom vor allem die Schattenseite kennen: niedrige Löhne auf der einen, hohe Lebenshaltungskosten auf der anderen Seite. Doch der Grund des Übels sitzt nicht im Charterflugzeug aus Düsseldorf, sondern liegt an einer verkehrten Politik an Ort und Stelle. Dort werden die Bebauungspläne erstellt, die lieber eine weitere Hotelanlage vorsehen, anstatt den Naturschutz zu beachten oder für günstige Mietwohnungen zu sorgen. Wer irreguläre Ferienwohnungen verbietet, muss das Verbot auch durchsetzen. Doch stattdessen steigt das touristische Angebot immer weiter – und findet eine Nachfrage.

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    • Diedrich Ziegener schreibt:

      Herr Jenckel,

      Herr Kirsche sagt, man sollte mal Herrn Mädge fragen, warum er Vonovia 2019 die 700 Kaltenmoor-Wohnungen in den Auspress- und Abnutzungsrachen geschmissen hat. Nur um als Held zu glänzen, wenn er heute an der Spitze seiner Sozen-Nicker von damals das gefledderte, ausgesaugte und runtergewirtschaftete Immoschrott-Paket für eine halbe Milliarde Euro zurückzukaufen fordert? Weiß Frau Schröder-Ehlers, die ja neuerdings behauptet, sie beherrsche die Grundrechenarten, eine Antwort? Oder vielleicht ihr Vertretungskollege Herr Kohlstedt, der bekanntlich seit geraumer Zeit jeden Zentimeter Teppich anbetet, auf den der Ex-Oberuli mal seinen Fuß gesetzt haben soll?

      Dieselbe Frage könnte man dem profilneurotischen Marathon-Altbürgermeister aber auch selbst in Betreff auf das Verkommenlassen des Ratskellers stellen.

      Ich war 1977 noch gar nicht auf der Welt. Aber wäre ich es gewesen und hätte ich als Neunjähriger am Sonntagnachmittag des 10. September 1977 meinen Opa Heinz-Rüdiger ins damals frisch eröffnete und zuvor über mehrere Jahre mithilfe von vielen Hektolitern einiger der giftigsten, gesundheitsschädlichen – Schwebeteilchen und Gase – dauerhaft emittierenden Holzschutzmittel wie das karzinogene Methanal, besser bekannt als Formaldehyd, das polychlorierte Biphenyle (PCB), Lindan, Pentachlorphenol (PCP) und Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) renovierte Glockenhaus zu einem dichten, textnahen und rhetorisch bezwingenden Vortrag von Hermann Schweppenhäuser anlässlich des 100. Geburtstages von Hermann Hesse begleitet (Vortragstext: »Hermann Hesse zum Andenken«. Jetzt in: Friedrich, T. et alii, Hrg. (2019): »Sprache, Literatur und Kunst. Gesammelte Schriften von Hermann Schweppenhäuser«. J.B. Metzler, Stuttgart. S. 275-285), könnte ich dann heute eine lebenslange Invalidenrente von netto 3.500 Euro pro Monat plus unbegrenztes unentgeltliches Wohnrecht in einer der Suiten des Hotel Bergstöms bei Florian Forster im Sozialamt der Stadt Lüneburg beantragen? Grund: am 11. September in 2024 werde ich seit genau 47 Jahren immer mal wieder an so einem komischen hartnäckigen Husten und Halskratzen leiden?

      An dem Tag, an dem ich den Auszahlungsbescheid von Herrn Forster in Händen halte, werde ich zur Sparkasse gehen und eine Quartalszahlung von 400 Euro zu Ihren Gunsten für so lange anweisen, bis die Sanierung der Trinkhalle unter dem Rathaus saniert worden ist. Bitte teilen Sie mir doch zeitnah die Nummer Ihres Ratskellerrettungskontos mit.

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