Was wäre Lüneburg ohne den Zeitgeist?

Der Zeitgeist muss sich ständig mit dem Gestern rumschlagen. Und weil wir in einer kurzweiligen Zeit leben, murmeln viele Lüneburger, die am Gestern hängen: Warum kann’s nicht so bleiben, wie es war? Weil der Wandel die Konstante ist. In Lüneburg geht das schon seit Tausend Jahren so und gerade wieder lautstark. Und das ist schön. 

Stellt euch nur einmal vor, das Gestern hätte immer gewonnen, was wäre Lüneburg öde. So zeigt es doch, dass die Stadtgesellschaft lebt und die Stadt sich weiter häutet – die ein oder andere Wiedergeburt und der ein oder andere Fehlgriff nicht ausgeschlossen. 

Die einen sehen in Lüneburg die Stadt der Backsteingotik, die es zu schützen gilt, die anderen sehen sie gar als schaumgeborene Renaissance-Hochburg, die das Zeug zum Welterbe-Titel besitzt. Weil der Zeitgeist meist siegte, ist Lüneburg vielmehr ein Bilderbuch der Baugeschichte. Und die Hunderttausende von Touristen glauben sowieso, es sei ein Freilichtmuseum der Baukultur.

Auch deswegen reiben sich viele gerade wieder an den Grünen Oasen, die die Innenstadt beleben sollen. Und ich war beim Probelauf im vergangenen Jahr auch mit Entsetzen dabei. Mittlerweile finde ich die Designer-Bänke am Lunabrunnen, die Monate nach Frühlingsanfang aufgebaut werden – der Sommer ist ja auch schon halb vorüber – , nicht mehr der Rede wert. Bei mir denke ich des öfteren zwar noch: Kulturbanausen. Aber vielleicht bin ich auch nur das Gestern und die Bänke der Zeitgeist. 

Oft habe ich bedauert, dass sich in Lüneburg die Architektur meiner Zeit nicht wiederfindet. Dabei habe ich nicht so sehr an Bänke und Pflanzkübel gedacht. Ich habe von so einer Glaspyramide wie im Louvre geträumt, von Foster und Gehry, nicht von Operettengiebeln, für die die Abrissbirne Platz geschaffen hat, und nicht von austauschbaren Filialisten-Boulevards, nicht vom Neo-Bauhaus wie im Hanse-Viertel oder Klein Prora wie im Ilmenaugarten. Wir haben wenigstens Libeskind. 

Die Stadt im Umbruch ist gleichwohl beruhigend, weil eben nichts bleibt, wie es war, wusste schon Hannes Wader. Wir haben zu wilhelminischer Zeit die Baumallee auf dem Platz Am Sande verdaut, wir haben den Markisenstreit überstanden, haben uns an die seelenlosen Boulevards in der Grapengießer- und Bäckerstraße gewöhnt. Damals war der Plattenboulevard ein Diener vor den Hauseigentümern und in Personalunion Händlern, denen bald darauf Konzerne Mieten präsentierten, wo wohl jeder an Golfen und Seychellen bis ans Ende der Tage denkt. Das ist nun auch schon wieder das Gestern.

Ansonsten laufen die Experimente mal so, mal so. Der Glockenhof ist das beste Beispiel. Da weiß keiner, wohin der Zeitgeist gerade wollte oder ob die Steine nur günstig im Angebot waren – zumindest der Fugenmörtel fürs Wasserspiel. Der Clamartpark ist gelungen, der Lambertiplatz noch eine magere Versuchsanordnung, und dann wäre noch die Frage zu beantworten: Lüneburg, wie hast du’s mit den Parkplätzen? Ich höre schon wieder den Aufschrei: Hände weg vom Marienplatz!

 In jeder historischen Stadt von Rang, und dazu zählt sich Lüneburg, ob in Brügge, San Gimignano oder Florenz, akzeptieren wir es, dass die Autos draußen bleiben. In Lüneburg in keinem Fall, in Lüneburg sind wir zuhause, da parkt man dicht dran oder nimmt andernfalls übel. Und am Ende bleibt wieder die Frage, ob die autozentrierte Stadt, längst ein Fall fürs Geschichtsbuch, doch den Zeitgeist ausbremst, diesen streitbaren Kerl, oder ob er die Kraft und den Mut hat, einen Schritt weiter zu gehen. Oder ob ihm doch bei Bänken und Grün die Puste ausgegangen ist.

Hans-Herbert Jenckel

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Journalist, Dipl.-Kaufmann, Moderator, Lünebug- und Elbtalaue-Liebhaber
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7 Responses to Was wäre Lüneburg ohne den Zeitgeist?

  1. Avatar von sanderthomasgmxde sanderthomasgmxde sagt:

    Lieber Herr Berg, erstens halte ich das Dementi des ehem. Chefredakteurs für absolut glaubwürdig. Zweitens halte ich Sie geradezu für den Inbegriff eines „Durchschnittslesers“. Drittens das Handelsblatt … Viertens ist das Aufarbeiten jeglicher NS-Geschichte insbesondere in Lüneburg erfolgreich abgeschlossen. Sicherlich wird auch die abhanden gekommene Tafel an der abgerissenen MTV-Halle, die an den dort abgehaltenen NS-Kriegsverbrecherprozess erinnerte wieder auftauchen, mindestens aber eine Nachbildung an dem demnächst dort fertiggestellten neuen Gebäude angebracht.

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  2. Avatar von Otto Berg Otto Berg sagt:

    Hans-Herbert Jenckel, der Prophet, findet schon 10 Tage vor dem Ereignis die maßgeschneiderten Worte:

    Der Zeitgeist muss sich ständig mit dem Gestern rumschlagen. Und weil wir in einer kurzweiligen Zeit leben, murmeln viele Lüneburger, die am Gestern hängen: Warum kann’s nicht so bleiben, wie es war? Weil der Wandel die Konstante ist. In Lüneburg geht das schon seit Tausend Jahren so und gerade wieder lautstark. Und das ist schön. 

    DAZU kress – „der Mediendienst mit dem Wesentlichen aus der Welt des Publishing“:

    Ex-Führungstrio der Landeszeitung Lüneburg meldet sich zu Wort: „Wir haben keine silbernen Löffel geklaut“

    Sven Fricke, geschäftsführender Gesellschafter des Medienhauses Lüneburg, hat zum 1. August die Redaktionen der Tageszeitungen „Landeszeitung Lüneburg“ (LZ) und „Winsener Anzeiger“ sowie des Anzeigenblatts „Lünepost“ zusammengelegt und Werner Kolbe zum Chefredakteur befördert. Die dreiköpfige bisherige LZ-Führungscrew wurde freigestellt, ohne dass das den Lesern in einem Bericht über die neue Struktur mitgeteilt worden wäre. Auf Linkedin zeigen sich Katja Hansen, Malte Lühr und Anna Paarmann verwundert über die Art und Weise, wie sie verabschiedet wurden.

    Von HENNING KORNFELD | 2. AUGUST 2024 UM 14:30 UHR

    Sven Fricke gründet eine Gemeinschaftsredaktion für das Medienhaus Lüneburg(Foto: Julia Petersen)

    Der neue Chefredakteur Werner Kolbe nahm auch in der Vergangenheit schon Führungsaufgaben in der Redaktion der LZ wahr, an ihrer Spitze stand er jedoch nicht: Das Medienhaus Lüneburg hatte 2022 Katja Hansen, Malte Lühr und Anna Paarmann als Redaktionsleitung eingesetzt. Sie lösten damals Marc Rath ab, der als Chefredakteur der „Mitteldeutschen Zeitung“ nach Halle wechselte. kresspro setzte das Trio 2022 auf die jährliche Bestenliste der Zeitungs-Chefredakteure. In einer Mitteilung über die Veränderungen im eigenen Haus, erschienen am Donnerstag, erwähnt die „Landeszeitung Lüneburg“ das Schicksal ihres bisherigen Führungstrios indes mit keinem Wort.

    Auf kress.de-Anfrage sagte der neue LZ-Chef Kolbe, Hansen, Lühr und Paarmann seien freigestellt worden und nicht mehr für das Medienhaus tätig. Weitere Fragen wollte er nicht beantworten.“Die Erde hat sich nicht aufgetan“

    Die drei Betroffenen haben sich unterdessen am Freitagnachmittag in eigener Sache gemeldet – mit einer gleichlautenden Erklärung auf Linkedin: „Nein, die Erde hat sich nicht aufgetan und uns verschluckt. Und nein, wir haben auch keine silbernen Löffel geklaut“, heißt es dort. Und weiter: „Dass dieses unwesentliche Detail (ihr Abschied vom Medienhaus Lüneburg) am Donnerstag im Bericht über die neue Struktur im Medienhaus Lüneburg unter den Tisch gefallen ist, zeugt wohl davon, dass an dem von der Geschäftsführung formulierten Anspruch nach ‚hochwertigem, relevantem und unabhängigem Lokal- und Regionaljournalismus‘ noch gearbeitet werden muss.“

    Die drei beteuern, dennoch nicht „im Groll“ zu gehen, „sondern in tiefer Verbundenheit zur LZ – und in dem festen Glauben, dass dort, wo kein gemeinsamer Weg gefunden werden kann, ein neuer eingeschlagen werden muss“. Mit ironischem Unterton geht es weiter im Text: „Dass nun versehentlich der Absatz zum Verbleib der alten Chefredaktion weggefallen und unsere beruflichen Mail-Accounts direkt deaktiviert worden sind – Schwamm drüber, in Kauf zu nehmende Kollateralschäden eben. So werden Sie auf unsere offizielle Abschieds-E-Mail wohl noch einige Tage warten müssen.“

    Der neuen Führungsmannschaft gehören außer Kolbe noch Thomas Mitzlaff, Jan Beckmann und Dominik Heuer an. Mitzlaff, bisher Redaktionsleiter und Verlagsleiter des „Winsener Anzeiger“, ist jetzt Gesamtleiter der Lokalredaktion. Als Lokalchef für die Stadt Lüneburg verantwortlich ist Beckmann, zuvor für die „Lünepost“ zuständig. Heuer führt den redaktionellen Bereich des „Winsener Anzeiger“. Er war dort zuvor leitender Redakteur.Standorte Lüneburg und Winsen bleiben erhalten

    Durch die gezielte Nutzung gemeinsamer Strukturen wird die journalistische Vielfalt gestärkt, indem sich wieder mehr Redakteure um die Content-Recherche und Erstellung kümmern können“, schreibt Geschäftsführer Fricke zu den Veränderungen. Geplant sei ein gemeinsamer Newsroom. Dadurch werde es in Zukunft auch möglich sein, technische Veränderungen wie den Einsatz von KI-Technologien von zentraler Stelle auszurollen und zu betreiben. Die Redaktionsstandorte in Lüneburg und Winsen blieben erhalten und die Präsenz in den Regionen werde verstärkt, verspricht er.

    Hintergrund: Das Medienhaus Lüneburg gibt die Tageszeitungen „Landeszeitung Lüneburg“ und „Winsener Anzeiger“ mit einer verkauften Auflage von knapp 27.000 Exemplaren heraus. Das wöchentliche Anzeigenblatt „Lünepost“ hat eine Auflage von knapp 71.000 Exemplaren. Das Unternehmen gehört drei Gesellschafterfamilien. Geschäftsführer Fricke ist erst zum 1. Januar 2024 von den „Kieler Nachrichten“ nach Lüneburg gewechselt. Er übernahm auch einen Anteil an dem Unternehmen. Die „Lüneburger Landeszeitung“ schrieb damals zu dieser Personalie: „Erstmalig in der langen Geschichte des Unternehmens liegen die operativen Geschicke damit künftig ausschließlich in den Händen eines einzigen Geschäftsführers, der zudem nicht aus einer der drei Gründerfamilien stammt – in doppelter Hinsicht ein Novum.“ Den „Winsener Anzeiger“ hat das Medienhaus erst im April rückwirkend zum 1. Januar 2024 vollständig übernommen.

    Nachtrag: Mittlerweile gibt es eine einvernehmliche, offizielle Sprachregelung zur Trennung von Medienhaus Lüneburg und der alten Führungscrew. Das ist ihr Wortlaut:

    „Mit der Übernahme des Winsener Anzeigers rückwirkend zum 1. April hat sich aus Sicht der Geschäftsführung und der Chefredaktion die Chance eröffnet, die Medienhaus-Produkte inhaltlich und strukturell neu auszurichten und gleichzeitig die beteiligten Redaktionen in Lüneburg und Winsen eng miteinander zu verzahnen. In diesem Prozess hat sich gezeigt, dass es zwischen Geschäftsführung und Verlegern einerseits und LZ-Chefredaktion anderseits in wesentlichen Fragen unterschiedliche Auffassungen gibt. Aus diesem Grund haben sich beide Seiten im gegenseitigen Einvernehmen entschieden, den Weg für einen Neustart, auch in personeller Hinsicht, frei zu machen.“

    QuelleKRESS-News, 2. August 2024 um 14:30 Uhr

    FAZIT: Ein gelungener Fehlstart in eine Zukunft mit Vergangenheit.

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    • Avatar von sanderthomasgmxde sanderthomasgmxde sagt:

      „Keine silbernen Löffel geklaut“ Aus dem journalistischen Instrumentenkasten der weiter mit der LZ tief Verbundenen Ehemaligen: Das Dementi dessen, was niemals irgend jemand jemals behauptet hat.

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      • Avatar von Otto Berg Otto Berg sagt:

        Lieber Herr Sander,

        was schließen Sie denn aus solchem Dementi? Und was sollte ein Durchschnittsleser wie ich annehmen, wenn er vernimmt, den beiden Ex-Chefinnen und ihrem Mit-Chef sei wenige Augenblicke, nachdem sie gefeuert wurden, der hausinterne E-Mail-Account gekappt worden?

        Ein anderes (betrübliches) Feld für Mutmaßungen:

        Wir werden unsere Familiengeschichte während der NS-Zeit [a] noch einmal [b] ganz genau aufarbeiten“, gelobte Christian von Stern am 10. September 2022 gegenüber der Lüneburger Leserschaft des Handelsblatts. „Eine Kunsthistorikerin soll diese Aufgabe noch in diesem Jahr übernehmen.“

        Viel geworden ist daraus bisher – trotz allergrößter Anstrengungen – ja leider nicht. Ob Herr Fricke das Vorhaben nun pusht? Ob Herr Kolbe hinter den Kulissen drängelt? Jetzt warten wir mal ab, was die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg bringen und was „das Ausrollen des Einsatzes von KI-Technologien von zentraler Stelle“ zu alledem an Meinungsbildung in der Hefe des Volkes beitragen wird. Vielleicht wird sich in zehn, zwölf Jahren, wenn dann ein weiteres pressegeschichtliches Kapitel hinzu getreten sein sollte, sogar ein professioneller Zeit- und / oder Medienhistoriker der heiklen Herausforderung stellen und – Sie wissen schon: – versuchen, dass Allgemeine im Besonderen sichtbar zu machen.

        Mit herzlichen Grüßen

        Otto Berg

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  3. Avatar von Julia Heinemann Julia Heinemann sagt:

    Tauben, Touristen und Theatermuffel sollten in den Straßen Lüneburgs ein paar Jahre lang nicht mehr gefüttert werden. Sie vermehren sich viel zu stark. Ist ihre Population auf ein erträgliches Maß geschrumpft, bin ich dafür, verteilt über die Innenstadt weitere fünfzehn Reichenbachbrunnen aufzustellen. Ein Amalgam aus Tradition und Zeitgeist, aus Einzigartigkeit und 3D-Reproduktion, das nicht allein den Augen schöne Formen bietet, den Dürstenden frische Labung, den Älteren Schatten spendet und die Ohren der Jüngeren mit seinem Glucksen erfreut, sondern Gäste wie Einheimische bei jeder Begegnung auch dezent, aber bestimmt auffordert: „Denkmal! – Denk mal darüber nach, was ich dir erzählen möchte… über Lüneburger Kaufleute und die Gauwirtschaftskammer Osthannover erzählen könnte… über die tonangebenden Drucker und Zeitungsverleger… über Traditionsbestände und Zeitgeistgeplätscher…

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  4. Avatar von Andreas Janowitz Andreas Janowitz sagt:

    Tschuldigung, aber die sog. Verkehrsplanung in Lüneburg ist und bleibt ein einziger Totalschaden. Gerade die gesamte Ostumgehung von Kaltenmoor über Deutsch-Evern „umgeleitet“ ohne das irgendwo irgendwelche Anpassungen vorgenommen wurden. Angesichts solch geballter Kompetenz steht jeder blinde, einarmige, einbeinige beim Querfeldeinlauf als besser vorbereitet da.

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  5. Avatar von Klaus Bruns Klaus Bruns sagt:

    tja lieber Herr Jenckel, wolfsburg ist einfach zu nahe. und wenn die a39 weiter gebaut wird, noch näher. viele die karriere machen wollen, fahren bei ihren vorgesetzten gern rad. dem zeitgeist aber wird gerade eingeredet, er soll weiter auto fahren und dieses elektrisch. sollen diese etwa nicht in die stadt fahren dürfen?

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