Hauptsache dagegen: Touch too much, grunzt die Salzsau

„Jung sein, heißt dagegen sein“, blödelte Karl Dall bei der Spaßtruppe Insterburg. Das war so zu Zeiten des abflauenden Wirtschaftswunders und der Verfestigung des Wohlstands. Seiterher haben die Jungen von damals, die Mittelschicht von heute, das Dagegensein als Lebenssinn konserviert. 


In Lüneburg rufen alle nach der Verkehrswende, aber viele nur, wenn alles so bleibt, wie es ist. Vor allem sollen keine Parkplätze wegfallen, sonst veröde die Innenstadt. Da sind wir dagegen. Wasch mir den Pelz….


Wer mit offenen Augen durch die Fußgängerzone schlendert, sieht, die Filialen gehen, just schließt nach Jahrzehnten Salamander, eine der ganz alten, und die Gastronomen aller Couleur kommen. Auf dem Platz Am Sande ist das gerade zu sehen. Vorübergehend echt verkehrsberuhigt, verbreitetet sich im Giebelglanz im Spätsommer schon fast toskanische Atmosphäre. 

Gehen Sie einmal durch die Bäckerstraße, da ist ein großes Gequatsche, aber die Menschen reden nicht mit ihrem Nebenmann oder ihrer Nebenfrau, schauen in kein Schaufenster, ob leer oder drapiert, tragen keine Einkaufstasche, sondern ihr Handy wie eine Hostie vor sich her, sie haben einen Knopf im Ohr oder wahlweise riesige stylische Kopfhörer. Sie laufen an den Geschäften vorbei und bestellen gerade bei Zalando oder Amazon. Das ist der Lauf der Zeit, eine Abstimmung mit dem Handy. 


Wenn wir ehrlich sind: Die Jungen kaufen in wenigen angesagten Läden und im Netz, die ältere Generation, von der so viel zu lesen ist, steigt nicht mehr auf jeden Modetrend ein, da stehen genug Schuhe im Regal und liegen genug Hemden und Hosen im Schrank. Die Babyboomer-Generation ist längst zum Kaufhaus-Lüneburg-Schreck geworden und fliegt lieber nach Mallorca oder Teneriffa und wartet in jedem Fall den Schlussverkauf für ’ne neue Badehose ab.

Wir sind gegen ein neues Umspannwerk, wir sind zwar für Windkraft, aber nur außerhalb der Sichtweite und nicht im Wald. Das ist so wie mit den Parkplätzen: ja, aber hier nein. Das Dagegensein hat unsere Gesellschaft mittlerweile ganzheitlich erfasst und die Atmosphäre vergiftet. Touch too much.

 
Ich kann das alles gut nachfühlen. An meinem Garten rumoren seit einem halben Jahr den lieben langen Tag die Bagger für das ambitionierteste Baugebiet von Lüneburg. Ich habe kräftig, aber erfolglos dagegen geschrieben. Aber ich respektiere am Ende auch demokratische Entscheidungen. Seither sitze ich im Sommer nicht im Garten, sondern vor der Haustür, da höre und sehe ich die Bagger nicht, dafür bekomme ich viel von dem mit, was so um mich herum los ist. Der Perspektivwechsel hat schöne Seiten.


Jetzt haben die Diebstähle in Lüneburgs Geschäften zugenommen, sagt die Kaufmannschaft und fordert als Task Force einen Sicherheitsdienst in der Stadt, bis sich ein Kommunaler Ordnungsdienst etabliert. In den Geschäften arbeiten meines Wissens Privatdetektive, auf der Straße wüsste ich nicht, woran man einen Dieb so genau erkennt. Und auf der Straße haben solche Dienste auch nur die Jedermanns-Rechte, die ein jeder Bürger hat – bis die Polizei kommt. Bei der Polizei wurde der Vorschlag staunend wahrgenommen. Ich sage mal: Touch too much Kohle.

Die Stadt kann den Wandel marginal mitgestalten, und zwar durch mehr Sitzmöbel, mehr Grün oder wie es heute heißt: Aufenthaltsqualität. Der Umbruch wird hart und er dauert. Das gilt am Ende auch für die seelenlosen FOCs, bei denen man angesichts des boomenden Online-Handels, überspitzt gesagt, auch schon an eine Nachnutzung denken sollte.


Am Ende sind es die große Geschichte, die große Baukunst und ganz viel Kultur, die Lüneburg einzigartig und so anziehend machen. Das hat Bestand, der Rest ist wie schon immer mal mehr, mal weniger im Wandel. Man kann dagegen sein, Wandel aber nicht aufhalten. Widerstand ist zum Glück möglich, aber zwecklos. 

Hans-Herbert Jenckel

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Journalist, Dipl.-Kaufmann, Moderator, Lünebug- und Elbtalaue-Liebhaber
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2 Responses to Hauptsache dagegen: Touch too much, grunzt die Salzsau

  1. Avatar von Andreas Janowitz Andreas Janowitz sagt:

    Wenn´s mal „nur“ ums Opponieren ginge. Es werden dem Bürger doch allendhalben schlichtweg irre Pseudolösungen aufgenötigt?!

    Egal ob die Wahnfantasien eines Dr. B der die Funktionsweise des Brüters in Kalkar immernochnicht begriffen hat und der die Rolle menschlicher Aktivität beim Geoengineering-Projekt Klimawandel zu negieren sucht.

    Egal ob mit vorliegenden Gesetztesinitiativen im Bundestag(!) Steuerbetrug Tür und Tor geöffnet wird. Die Mrd € Diebstähle somit einen offiziellen Anstrich bekommen, denn man kann ja trefflich gegen die 1000€ für Ausländer wettern. Hauptsache die „Bürokratie“ wird abgebaut. Eigentlich könnte man dann auch gleich Bankraub legalisieren.

    Den Querulaten vor Ort sind die paar qm² Pflaster natürlich näher, als all die ach so komplizierten Problemchen, die wirklich wichtig sind und deren Lösung dringlicher denn je, wenn man nicht in bälde von ungarisch kleptokratischen Verhältnissen „überrascht“ werden will.

    Aber so einigen sind Führer Bernd und seine belustigend bekloppten Wahnfantasien grösstes Zeichen für gelebten Widerstand. Was dem Orban sein Schlösschen, darf dem Führer sein Carinhall 2.0 werden, solange der Obersalzberg noch nicht Reichsgebiet ist zumindest…

    Da schlägt man sich doch lieber mit Petitessen herum und nennt das grossspuring Opponieren, denn gegen die Flut des Wahnsinns stemmt sich doch längst niemand mehr.

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  2. Avatar von sanderthomasgmxde sanderthomasgmxde sagt:

    s

    Selbst die über tausendjährige Lüneburger Salzsau musste sich unlängst der Macht des übermächtigen Wandels fügen und ist jetzt ein Eber.

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