Im Osten nichts Neues – Hinter Dahlenburg fängt die Taiga an

Hintergrundgrafik: Geoportal Landkreis Lüneburg

Lüneburg, 6. Januar

Von Claus-Cornelius Poggensee

„Blühende Landschaften“ im Osten versprach dereinst Helmut Kohl. Landrat Jens Böther hält sich aus gutem Grund zurück. Kohl ist Geschichte und im Landkreis Lüneburg gilt immer noch: Hinter Dahlenburg beginnt die Taiga. Und daran ändert leider das neue geplante Flächenprogramm des Landkreises Lüneburg nichts. Der Westen hat mal wieder Vorfahrt.

„Die Menschen sollen dort leben können, wo sie leben wollen“, lautet die jüngste strukturpolitische Kapitulation unseres bayrischen Heimatministers bei der Vorstellung des Dritten Berichts der Bundesregierung zur Entwicklung ländlicher Räume. „Dass man in ministeriellen Apparaten, die ja sonst immer in erster Linie an Metropolregionen denken, jetzt an die strukturschwachen ländlichen Räume denkt, ist ein großer Fortschritt“, meint Seehofer. Ein Fortschritt auch bei uns?

Die Kinder leben im Obergeschoss
Vergleichen wir den Landkreis mit einem Mehrgenerationenhaus. Im Osten wohnt Oma, im Westen schlafen die Eltern. Die Kinder leben im Obergeschoss. Gern trifft mensch sich in der Mitte, wenn das Wohnzimmer durch zu viel Besuch nicht wieder überbelegt ist. Ob die illegale Dauervermietung küchennaher Gästezimmer an Airbnb wirklich so zielführend war? Doch wundersam erweitert sich das Wohnzimmer nach Westen dank fleißiger Bauknechte und Mägde trotz anderslautender Zusagen ebenjener stetig, wobei das Lüften immer schwerer fällt.

Oma hat ein kleines Bad, die Eltern duschen auf dem Weg zur Arbeit. Die Kinder haben oben im Haus kein WLAN und möchten gern ausziehen. Beim Duschen sehen sie ihre Zukunft eher virtuell.

Der Landkreis möchte das Mehrgenerationenhaus renovieren, nicht sanieren. Neu bauen kann er nicht, dazu fehlen ihm die Befugnisse. Folge: Das Elternschlafzimmer wird größer, Omas Bad dabei ungewollt verkleinert. Ans Gästezimmer will die Stadt nicht ran und lässt die Kinder ziehen. Das Haus wird größer, obwohl im Garten schon genug ökologisch wertvolle und landwirtschaftlich nutzbare Flächen verloren gegangen sind.

Das RROP als Schlüssel
Grundlage des Renovierungsplans ist das Regionale Raumordnungsprogramm (RROP), welches im Landkreis erstellt und vom Kreistag beschlossen wird. Die Neuauflage des Programms von 2010 geschieht aktuell, der Landkreis hinkt nicht nur Corona-bedingt hinter dem Zeitplan her. Das 3. Quartal 2021 dürfte für die Beschlussfassung im Kreistag hinfällig sein.

Eine Überarbeitung ist angeraten, denn 2010 wurde der Bezugszeitraum, auf den sich zum Beispiel das zugestandene Eigenentwicklungspotential der Gemeinden bezieht, nicht definiert: 3% pro Jahr oder auf 10 Jahre machen aber kreisweit einen ordentlichen Unterschied bei der Flächenversiegelung aus. Nun, die Zunft der Juristen hat gut an dieser Unklarheit verdient.

Nachschub für Flächenfraß
Am Anfang der Überarbeitung stand ein Paradigmenwechsel, der von der Mehrheit im Kreistag bisher kaum hinterfragt wurde. Ganz im Gegenteil, manch Dorffürst freut sich schon aufs nächste Neubaugebiet und sprudelnde Steuereinahmen in blühenden Landschaften. Letztere jedoch sollen kleiner werden: 2010 richtete sich das bestehende RROP noch am bundesweiten Flächensparziel der Nachhaltigkeitsstrategie aus. Beim neuen RROP orientiert sich die Flächenumwidmung an dem aus Wohnungsmarktanalysen ermittelten Bedarf. Zusätzlich schlägt der Landkreis noch 30% Fläche pauschal oben drauf. Begründung: Nicht alle Gemeinden werden bauen können oder wollen, das gleicht sich über die 30% dann aus. Das gibt dem Flächenfraß nochmal ordentlich Schub, Ressourcen- und Naturschutz bleiben auf der Strecke. 

Hier seehofert der Landkreis, jede*r soll eben wohnen, wo sie/er will. Dass Niedersachsen in den nächsten 20 Jahren 4 bis 5% seiner Bevölkerung verlieren wird – egal. Dass vom Bevölkerungsrückgang ausgerechnet die Regionen, die eigentlich nicht weiter verlieren dürften, betroffen sind – egal. Dass niedersachsenweit keine Ein- und Zweifamilienhäuser, sondern vor allem Mehrfamilienhäuser benötigt werden – egal. Dabei ist aus den Wohnraumanalysen selbst bekannt: Je ländlicher es wird, desto größer ist das Risiko, abgehängt zu werden. Doch was schert einen Landkreis Lüneburg das Wendland und die Altmark. Wie bei der Mobilität – Stichwort Elbmarschstern – steht der einzige Planungskirchturm der mental map in Lüneburg.

Wer hat, dem wird gegeben
Teil des RROP ist wie bisher die Einteilung in Oberzentren (bei uns nur Lüneburg), Grundzentren (wie Dahlenburg, Amelinghausen oder Scharnebeck) und die Eigenentwicklung der Dörfer. Letztere bedeutet weiterhin eine Zuwachsquote von 3% (künftig auf zehn Jahre festgelegt), um dem wachsenden Wohnflächenbedarf pro Kopf gerecht zu werden und die bestehende Bevölkerung im Ort zu halten. Irgendwo müssen die ganzen Sachen ja schließlich hin, die mensch sich früher bei der Nachbar*in geborgt hat. 

Das „Konzept“ dabei lautet „Dezentrale Konzentration“ oder: Wer hat, dem wird gegeben. Orte, die eine entsprechende Infrastruktur aufweisen, sollen wachsen, der Rest nicht. Neu und lobenswert: Es wird nicht mehr von Wohneinheiten, sondern vom Flächenverbrauch als Kalkulationsgrundlage ausgegangen. Nachverdichtung soll nicht auf die Eigenentwicklung angerechnet werden. Der Bau eines Mehrfamilienhauses als Ersatz für ein Einfamilienhaus wird ebenfalls nicht angerechnet.

Die Infrastruktur muss stimmen
Zwischen Grundzentren und Eigenentwicklung sollen neue Klassen entstehen: W1, W2 und W3. Voraussetzung für W1 sind mehr als 2.000 Einwohner*innen, eine sehr gute ÖPNV-Anbindung, Hausarzt, Grundschule und Kita sowie Einzelhandel für den täglichen Bedarf mit einer Verkaufsfläche von mehr als > 200 qm. Für W2 qualifiziert sich, wer mehr als 1.500 Einwohner*innen, eine gute ÖPNV-Anbindung, Grundschule und Kita sowie Einzelhandel für den täglichen Bedarf mit einer Verkaufsfläche von mehr als > 50 qm sein Eigen nennen kann. W3 braucht nur einen Bahnanschluss und eine Grundschule, ein Kriterium, welches aktuell nur auf Echem, den Wohnort des Landrats, zutrifft.

Geblieben ist damit: Nur wer die entsprechende Infrastruktur hat, darf wachsen. Bestehende, sich verstärkende Disparitäten (Dorfladen zu, Sparkasse weg, Gasthaus dicht) sollen erhalten statt ausgeglichen werden. Und so wundert es nicht, dass fast alle W-Standorte nordwestlich der Achse der W1-Standorte Hohnstorf, Deutsch Evern, Embsen liegen, also in dem Bereich, der dem ohnehin unter Siedlungsdruck stehenden Aktivraum der Metropolregion Hamburg zuzurechnen ist. 

Dezentrale Konzentration
Nicht der Ist-Zustand allein darf aber Planungsgrundlage sein, sondern leiten muss das Ziel weitgehender gleichwertiger Lebensverhältnisse mit entsprechendem Zugang zu Infrastruktur. Daseinsgrundfunktionen sollten nicht weiter konzentriert werden, sondern sind in der Fläche wieder/weiter sicherzustellen. Das sieht das Konzept „Dezentrale Konzentration“ auch vor. Darin finden sich durchaus lokale Vernetzungsachsen unterschiedlichster Art. Richtig hat der Landkreis das im Juni 2019 auch so in einer Veranstaltung zur Siedlungsentwicklung dargestellt. Im Februar 2020 ist es einer reinen Baumstruktur gewichen.

Wenn aber laut RROP der ÖPNV-Ausbau an die Wohnentwicklung gekoppelt wird und gleichzeitig die Klassifizierung der W-Standorte stark anhand der bisherigen Verkehrsachsen/ÖPNV-Auslastung ausgerichtet ist, beißt sich die Katze in den Schwanz. Arme Oma. Die Bahnlinie über Dahlenburg nach Dannenberg gilt nicht als sehr gute Bahnanabindung, weil der Zug nur alle drei Stunden fährt. Ergo: Keine W1 -Standorte entlang der Strecke und noch nicht mal ein W3 als mögliche Planung. Soderstorf und Betzendorf könnten nach Karte evtl.  mal W3 -Standorte werden, obwohl dort derzeit leider noch gar kein Zug fährt. 

Leben und Arbeiten vor Ort zusammenbringen
Kluge Raumordnung muss anders ansetzen. Die Attraktivität des Wohnortes bestimmt sich nicht nur dadurch, wie effektiv ich pendeln kann, sondern vor allem durch das, was ich dort vorfinde. Das gilt insbesondere angesichts des Wandels zu mehr HomeOffice, etwas, was uns auch nach Corona erhalten bleiben wird. Ziel muss sein, Leben und Arbeiten vor Ort wieder zusammenzubringen, statt Pendlerströme möglichst effektiv in die Hansestädte zu lenken.Warum nicht ein DIGITAL-Campus in Ellringen? Zukunft statt Schweinereien. Oder gemeinschaftlich genutzte Büroräume als Ideenschmieden (Shared- and Coworking Spaces) in Zeetze oder Rehlingen? Ein neuer Dorfladen, eine neue Kneipe, ein Kulturcafé als Gemeinschaftsprojekt in Form einer Genossenschaft aus Einwohner*innen. OneWorldReinstorf hat es vorgemacht. Ein Handwerker*innenhof mit gemeinsamem Fahrzeugpool und Nutzung von Spezialwerkzeugen. Göddingen als Pflegestützpunkt. Alles Utopie? Nö, gibt es schon, hier oder andernorts.

Es ist ökologisch und raumordnerisch kontraproduktiv, die Bevölkerungsdichte in den ohnehin schon zu dicht besiedelten Räumen rund um Lüneburg und nordwestlich davon weiter zu erhöhen. Wienebüttel und Vögelsen sind Beispiele dafür. Ist Reppenstedt noch ländlich oder schon Suburbia?  

Großmachtfantasien
Ein Landkreis als Vasall der Metropolisierung Hamburgs mit Großmachtfantasien fürs Wohnzimmer handelt nicht vorausschauend. Lüneburg als museale Edge-City ist kein Zukunftsmodell. Entlang der potentiellen LKW-Rennstrecke “Lüneburg – Neu Darchau – Darchau – viel charmante Gegend – Ludwigslust“, also der Traumentwicklungsachse von SPD und CDU, ist für die Dörfern nur Eigenentwicklung vorgesehen. Ok, sagt der Landrat, innerhalb der (Samt-)gemeinden können bei Vorlage eines entsprechenden Konzeptes Flächenkontingente getauscht werden. Als Echemer müsste er wissen: Lieber nach Mordor ziehen als im Nachbardorf wohnen! Wäre es nicht realistischer im Bereich der Eigenentwicklung Planungszeiträume zu vergrößern? Kaum eine Investor*in wird ein Baugebiet mit 5 Wohneinheiten in einem kleinen Dorf ökonomisch erschließen können. Auch ein Blockheizkraftwerk bedarf z.B. einer Mindestanzahl an Wohneinheiten, um effektiv zu arbeiten. Hier gilt es eher die zugestandenen Eigenentwicklungskontigente zu akkumulieren und einmal ein größeres Neubaugebiet auszuweisen, womit es dann für die nächsten 40 Jahre auch genug sein mag. 

Raumordnung ist mehr als Aufräumen und Ablage in alten Schubladen. Die Baumstruktur von Siedlungs- und Verkehrsachsen mit Hamburg als Stamm und Lüneburg als wichtiger Verästelung ist auch im Hinblick auf die strukturschwachen Räume östlich der Landkreisgrenzen durch eine Spinnennetzstruktur zu ersetzen. Zentrale Orte in den Nachbarlandkreisen sind in die Planung einzubeziehen. Verkehrsanbindungen sind nicht nur aufgrund der Strecke, sondern auch aufgrund der Reisezeit – nicht nur der Beförderungszeit – zu betrachten (Erreichbarkeitsindikatorenkonzept). 

Und wenn wir weiter zentralisieren? Kommt der Aufschrei erst, wenn in sterbenden Dörfern völkische Siedlungen entstehen und die AfD die ersten Kommunalparlamente erobert? 


Claus-Cornelius Poggensee
ist einer der drei Sprecher*innen
für den ländlichen Raum im
Kreisverband von
Bündnis90/Die GRÜNEN.
Er ist stellvertretender
Fraktionssprecher im
Samtgemeinderat Scharnebeck und Gemeinderatsmitglied in Hohnstorf/Elbe.

Zuletzt hat er das lokale Aktionsbündnis zum Volksbegehren Artenvielfalt.jetzt mit koordiniert.

Von März 2016 bis März 2020 war Poggensee Mitglied im Kreisvorstand von Bündnis90/Die Grünen, von März 2018 bis März 2020 dessen Sprecher.
Foto: privat

Über jj

Journalist, Dipl.-Kaufmann, Moderator, Lünebug- und Elbtalaue-Liebhaber
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15 Antworten zu Im Osten nichts Neues – Hinter Dahlenburg fängt die Taiga an

  1. Helga Dreyer schreibt:

    Sehr geehrter Herr Poggensee,
    Sie haben mit Ihrem Beitrag die Elbbrücke bei Neu Darchau ins Spiel gebracht mit dem Satz:

    „Entlang der potentiellen LKW-Rennstrecke “Lüneburg – Neu Darchau – Darchau – viel charmante Gegend – Ludwigslust“, also der Traumentwicklungsachse von SPD und CDU,…“

    Können Sie mir hierzu bitte erklären, warum LKW-Fahrer Ihrer Meinung nach die ausgebaute Bundesstraße (B5 über Lauenburg) ächten würden und stattdessen über Landes- und Kreisstraßen ihre Fahrtroute über die Brücke bei Neu Darchau wählen würden? Nur wegen der charmanten Gegend? Um eine Abkürzung kann es sich hierbei bei zwei möglichen ziemlich genau auf den Kilometer gleich entfernten Strecken (Lüneburg – Ludwigslust und umgekehrt) ja wohl kaum handeln.

    Weiterhin monieren Sie in Ihrem Kommentar von heute – https://blog-jj.com/2021/01/06/im-osten-nichts-neues-hinter-dahlenburg-fangt-die-taiga-an/#comment-13629 – zum Thema Wirtschaftlichkeitsprüfung:

    „für das eigene Bauprojekt Elbbrücke oder den Neubau der Außenstelle der Grundschule Hohnstorf in Echem (Wohnort des Landrats) liegt keine derartige Forderung der Kommunalaufsicht des Landkreises vor“.

    Sehr geehrter Herr Poggensee, die Kommunalaufsicht wird dieses auch nicht extra fordern müssen, denn für jede Anschaffung oder Herstellung kommunaler Güter ist Wirtschaftlichkeit zu prüfen und nachzuweisen, selbst bei der Anschaffung kleinerer Güter. Aber:
    „Wirtschaftlichkeit“ kann nie nur mit Kostenargumenten bejaht werden, es muss immer auch eine Aussage zur Nutzenseite getroffen werden.
    Auf der Nutzenseite aber zählt die Erfüllung des öffentlichen Auftrags und die Berücksichtigung weiterer öffentlicher Belange.
    Was der konkrete Inhalt des öffentlichen Auftrags ist und welche weiteren Belange zu berücksichtigen sind, sagt das Wirtschaftlichkeitsprinzip gerade nicht und ist deshalb offen für alles, was Gesetzgeber oder Regierung und Verwaltung im Rahmen der Gesetze als Nutzen definieren. Quelle: https://olev.de/w/wirtsch.htm

    „Wirtschaftlichkeit“ ist übrigens eine der Voraussetzungen zur Gewährung von NGVFG-Fördermitteln. Wirtschaftlichkeit muss daher begründet werden. Dieses Erfordernis ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einer Wirtschaftlichkeitsberechnung oder einer Nutzen-Kosten-Analyse, so wie die Partei „Die Grünen“ und viele Kommentarschreiber im Blog es fordern. Es reicht eine Untersuchung nach einschlägigen technischen Regelwerken zur volkswirtschaftlichen Untersuchung aus, die dann die Wirtschaftlichkeit nachweist.

    Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit richtet sich am ökonomischen Prinzip aus. Wirtschaftlichkeit ist danach nicht nur im monetären Bereich anzusiedeln, sondern auch in sozio-ökonomischen bzw. sozio-ökologischen Bereichen zu sehen. Der Landkreis Lüneburg hat – wie bekannt – bereits im Jahr 2011 eine regionale Wirtschaftlichkeitsprüfung durchführen lassen, die für das Vorhaben positiv ausgefallen ist (diese kann man auf der Internetseite des Landkreises einsehen). Diese Untersuchung wird im jetzigen Planverfahren mit Sicherheit aktualisiert werden und – sollte es einen Planfeststellungsbeschluss geben – später zusammen mit dem Antrag auf Fördergeldern nach dem NGVFG dem Verkehrsministerium in Hannover vorgelegt werden. Sie brauchen daher keine Sorge zu haben, dass etwas an der Legalität vorbei geschummelt wird.

    Was nun nach diesem zwingend zu erfüllenden Kriterium des Nachweises der Wirtschaftlichkeit auch für den Neubau der Grundschule in Echem der Landrat selbst und die Nennung seines Wohnortes zu tun haben könnte, kann ich leider nicht nachvollziehen.
    Beste Grüße
    Helga Dreyer

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    • Claus-C. Poggensee schreibt:

      Sehr geehrte Frau Dreyer,

      egal ob Brückenfan oder Brückengegner*in, Sorge sollte den Einwohner*innen im Amt Neuhaus der Sachverhalt bereiten, dass ihnen bis auf die 12 Fußballfelder für die nächsten zehn Jahre keinerlei Flächenkontingente zur Entwicklung zur Verfügung gestellt werden sollen. Was nützt die schönste Brücke, wenn das ohnehin schon überalternde Amt Neuhaus keine Möglichkeit zur Entwicklung bekommt. Wem nützt die schönste Brücke, wenn niemand im Amt sie noch aus eigener Kraft benutzen kann? Im RROP soll ein Raum abgewickelt werden, der schon deutlich genug abgewickelt worden ist. Und das Thema, deshalb schreibe ich ja darüber, steht auch aufgrund seiner Komplexität trotz hohe Folgewirkungen nicht im Fokus der Öffentlichkeit. Mit der Traumentwicklungsachse von SPD und CDU wird bei Brückenbau dann zwar eine Achse geschaffen, das Wort Entwicklung aber können Sie streichen.

      Es bleibt dann eben nur eine Attraktivitätszuwachs für den Fernverkehr auf der neuen Route über die Brücke. Ein Großteil des LKW-Fernverkehrs entsteht über den Hamburger Hafen. Von dort über die A1 und A24 gen Osten stellt jede LKW-Fahrer*in mit dem dauerhaften Nadelöhr Elbquerung A1 an vielen Tagen auf die Geduldsprobe. Über die A25 geht es schon besser, spätestens ab Geesthacht und in Lauenburg selbst kommt zur Geduld dann noch ein gutes Quentchen Risikobereitschaft dazu, denn beide Orte sind zurecht z.T. durchfahrtsbeschränkt. Die Alternative südlich über die Elbuferstraße und die B209 mit Querung der Elbe bei Hohnstorf ist ebenfalls zurecht durchfahrtsbeschränkt, da sich zuvor der LKW-Verkehr hier mit hohem Aufkommen durchgequält hat. Genau diese Verkehrssituation aber verbunden mit all dem Lärm wünsche ich Ihnen in Darchau und Neuhaus nicht.
      Wie schön ist es dann doch, die A7 / A39 entlang zu brettern und auf die B216 abzubiegen und bei Dahlenburg den Weg gen Darchau zu wählen, wenn ich Richtung Schwerin / Rostock will oder muss. Tritt dies ein, seien sie gewiss, dass dann L232 und L06 sowie Lübtheener Chaussee ihre Wege in die Ausbauplanung finden werden. Streckenausbau zieht Streckenausbau nach sich.
      Selbstverständlich ist die Abschätzung künftigen Fernverkehrs über die neue Elbbrücke nur ein Aspekt. Gern betone ich nochmal, dass mir sehr an einer zuverlässigen und schnellen Lösung der derzeit inakzeptablen Lage liegt. Ich bin auch kein Experte für die Elbbrücke, da finden sich hier im Forum kompetentere Menschen.

      Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit wird im Landkreis mit zweierlei Maß gemessen, was ich mit den Beispielen am Ende zeigen wollte. Hier geht um Anwendung der von §12.1 der GemHKVO „Bevor Investitionen von erheblicher finanzieller Bedeutung oberhalb einer von der Kommune festgelegten Wertgrenze beschlossen werden, soll durch einen Wirtschaftlichkeitsvergleich unter mehreren in Betracht kommenden Möglichkeiten die für die Kommune wirtschaftlichste Lösung ermittelt werden.“ Dieses nette „soll“ ist eigentlich ein „muss“, wurde mir vermittelt. Seit 2011 hat sich bei der Elbbrücke ja doch das ein oder andere arenaverdächtige bei der Kostenentwicklung ergeben. Bevölkerungs- und Kaufkraftentwicklung im Amt Neuhaus halten keineswegs Schritt mit der Kostenentwicklung für Bau aber auch Unterhalt der Elbbrücke. Damit ist es durchaus berechtigt, hier ein Update einzufordern, wir reden nicht mehr über 10 Mio. €. Auch mit Blick auf den geforderten Wirtschaftlichkeitsvergleich beim KiTabau (Daseinsgrundvorsorge!) in meiner Gemeinde frage ich: Sind diejenigen, deren Wunsch bei einem Wirtschaftlichkeitsvergleich durchfällt, dann auch bereit, ihren Wunsch aufzugeben?

      Mit dem RROP schneidet sich der Landkreis mit dem Wunsch zum Bau einer Elbbrücke als selbst ins Fleisch. Beim Wirtschaftlichkeitsvergleich spielen soziale und demografische Faktoren eine Rolle. Wenn Amt Neuhaus durch das RROP auf Dauer weiter geschwächt wird, dürfte sich das beim Gutachten kaum zugunsten Ihres Wunsches nach einer Brücke auswirken.

      Herzliche Grüße

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  2. Wilhelm Führbringer schreibt:

    Hallo Herr Poggensee,

    im November 2019 haben ich mich über die außerordentlich wichtige, von Ihnen oben skizzierte Problematik mit Hans-herbert Jenckel ausgetauscht . Ich denke, es gibt manche Parallele zwischen unseren Gedanken. Um mich nicht zu wiederholen und weil es keine Platzeinschränkungen gibt, habe ich die Korrespondenz einfach kopiert und alle vier Teile hergesetzt. Wo würden Sie mir warum widersprechen? Wo modifizieren? Und wo was ergänzen oder den Akzent anders setzen?

    ·

    ❶ jj schreibt:
    22. November 2019 um 19:23

    Die Stadt Lüneburg sieht sich seit Jahren in einer angespannten Haushaltslage, das hat sich durch die sprudelnden Steuereinnahmen zwar gebessert, aber nicht grundsätzlich geändert. Ihren Schuldenberg kann sie nicht gravierend senken, sehen wir mal von den 70 Millionen ab, die das Land übernommen hat.

    Das hat auf den ersten Blick verschiedene Gründe:

    1) Die Stadt wächst und wächst und muss bei mehr Bürgern auch mehr in die Infrastruktur investieren. Das wird durch die Schlüsselzuweisungen aufgrund der größeren Einwohnerzahl nie kompensiert.
    2) Die übertragenen Aufgaben nehmen zu wie das Personal. Das kompensieren Bund und Land nicht ausreichend.
    3) Auf der anderen Seite schrammt die Stadt an ihre geographischen, verkehrstechnischen und kulturellen Grenzen.
    4) In den nächsten Jahren muss Lüneburg in den Mobiltätswandel mehr investieren, als sich die meisten heute vorstellen. Und dieser Wandel kommt schneller als gedacht. Da bildet der Wirtschaftsteil der Zeitungen. Das wird auch die Kommunen viel Geld kosten, aber auch zu einer signifikanten Entlastung der Stadt führen.
    5) Die Stadt muss den digitalen Wandel durch Infrastruktur-Investitionen begleiten, sonst wird sie an Attraktivität für Unternehmen einbüßen.
    6) Dass die Stadt als Oberzentrum auch noch die Hälfte der Kreisumlage, rund fünfzig Millionen Euro beisteuert, obwohl sie für die ganze Region die wesentlichen Kultur-, Klinik- und Erholungseinrichtungen vorhält, das müsste einmal ganz neu überdacht werden. Und da sollten Stadt und Landkreis alles tun, bloß nicht auf Konfrontationskurs gehen. Das wäre jetzt der schlechteste Zeitpunkt an einer Zeitenwende.

    Tatsächlich verändern sich die Parameter zurzeit revolutionär, und das spiegelt sich in einem tradierten Etat kaum.

    7) Wachstum hat als oberstes Ziel hat abgewirtschaftet. Daran muss sich eine Stadt in der Metropolregion, die nicht gesichtslos, sondern innovativ sein will, die Charakter hat, die Klimaschutz ernst nimmt und beim Höher-Weiter-Schneller ausschert, messen lassen.

    Allerdings lese ich im Etat-Papier der Grünen auch zu viel Allgemeinplätze und zu wenig Konkretes.

    Was nun Herrn Bruns angeht. Herr Bruns schreibt ungefähr dreimal so viele Kommentare. Und er sollte mal wieder eine Weihnachtspause einlegen. Die Angst der Mittelschicht ist von Spiegel bis FAZ besungen, da brauchen wir keine Links und keine zusätzlichen Querschläge. lg jj

    Die Stadt steuert über den Kreisumlage die Hälfte der Gesamtsumme bei

    ·

    ❷ Wilhelm Führbringer reagiert:
    23. November 2019 um 16:11

    Hallo Herr Jenckel,

    zu Ihren ausgezeichneten Blogartikelergänzugen (https://blog-jj.com/2019/11/21/etat-2020-nur-bei-der-kreisumlage-sind-die-gruenen-auf-linie-der-verwaltung/#comment-8464) habe ich Punkt (6) betreffend Anmerkungen und Fragen.

    Sie schreiben:

    „Dass die Stadt als Oberzentrum auch noch die Hälfte der Kreisumlage, rund fünfzig Millionen Euro beisteuert, obwohl sie für die ganze Region die wesentlichen Kultur-, Klinik- und Erholungseinrichtungen vorhält, das müsste einmal ganz neu überdacht werden. Und da sollten Stadt und Landkreis alles tun, bloß nicht auf Konfrontationskurs gehen. Das wäre jetzt der schlechteste Zeitpunkt an einer Zeitenwende.“

    Ja, die Stadteinwohnerschaft macht bloß 42 Prozent der Kreiseinwohnerschaft aus und trotzdem buttern ihre Steuerbürger die Hälfte der Umlagensumme in die Kreiskasse.

    Warum ist das so?

    Weil die absoluten Umlagesummen von der Finanzkraft einer Kommune abhängen und die ist in Lüneburg um ein Mehrfaches größer als die aller übrigen Kreisgemeinden zusammen. Die Finanzkraft einer nicht umlagefinanzierten Kommune wird maßgeblich durch die Höhe der eigenen Steuereinnahmen beeinflusst. Insofern ist die Steuereinnahmekraft ein wichtiges Merkmal für die Beurteilung der Finanzkraft einer Kommune. Gleichzeitig ist die Höhe der Steuereinnahmekraft ein Indiz für vorhandene Strukturunterschiede.

    Und hier möchte ich einhaken.

    Denn, dass die Hansestadt Lüneburg „für die ganze Region die wesentlichen Kultur-, Klinik- und Erholungseinrichtungen vorhält“, ist meines Erachtens ihr Problem und nicht ihr Plus.

    Die Fläche unserer Stadt macht 5 Prozent der Kreisfläche aus. Wieso werden 5 Prozent der Fläche mit Bildungs-, Beschäftigungs-, Gesundheits-, Kultur- und Unterhaltungseinrichtungen volgestopft, während 95 Prozent durch die Röhre glotzen, mit Wegzug und Infrastruktureinbußen (Schließung von Post-, Bank-, Klinik- und Supermarktfilialen, von Arztpraxen, Kirchen, Gasthäusern, Schulen, Kindergärten und Sportanlagen) zu kämpfen haben? Ist die Fläche bloß Pampa und nur die Stadt ist Zukunftsmodell? Ist nicht der ganze gedankenleere, wieder und wieder herumerzählte Oberzentrumskäse in Wahrheit Ausfluss eines vorsintflutlichen Raumplanungsschwachsinns? Wo steht geschrieben, das Zentralismus richtig ist und dezentrales, gleichmäßig über den ganzen Gemeindeverband verteiltes Potential ein Holzweg? Warum müssen fast alle Menschen auf den geförderten Zufahrtswegen im Stau stehen, weil sie zur Arbeit, zur Schule, zum Arzt, ins Theater, ins Museum oder ins eventisierte Spitzensporterlebnisuniversum ins Oberzentrum genötigt werden, wo sie keinen Parkplatz finden, wo Hektik herrscht, die Luft schlecht ist und Schlangestehen angesagt ist, bevor man hingelangt wo man hin möchte? Wieso die Attraktionen und Betätigungsfelder nicht über den Kreis verteilen, damit z. B. die Majorität der Beschäftigten ihre Arbeitsstelle per pedes oder mit dem Fahrrad erreicht?

    Das Antidot gegen die unleugbare Landflucht kann doch nicht sein, dieser noch zusätzliche Anreize zu schaffen, indem die „Attraktivitätspotentiale“ allein in einem „Oberzentrum“ konzentriert werden. Oder?

    Und würde nicht dann vermutlich auch die Steuerkraft sich gleichmäßiger gestalten, so dass der Oberbürgermeister nichts zum Wehklagen hätte und die Kreisverwaltung das Subsidiaritätsprinzip wieder in Stellung bringen und die Umverteilungsbürokratie im Kreishaus abschmelzen könnte, den Gemeinden ihre Finanz- und Gestaltungsautonomie nicht abzuschnüren brauchte und die (einstmals bloß temporär zum Abfangen von Ausgabenspitzen gedachte) Kreisumlage endlich auf einstellige Werte zurückfahren und sich ansonsten auf das Wenige konzentrieren könnte, das tatsächlich zu ihrem Aufgabenkreis gehört (Kreisstraßen, öffentlicher Personennahverkehr, Natur- und Landschaftsschutz, Abfallbeseitigung, Gesundheit- und Rettungswesen, Brand- und Katastrophenschutz, Lebensmittelüberwachung –– und 😂 Bauaufsicht)?

    ·

    ❸ jj schreibt:
    23. November 2019 um 16:28

    Solange der Mobilitätsmix nicht stimmt, solange die Menschen auch deswegen auf Deibel komm raus und um jeden Preis in die Zentren ziehen, weil dort die Arbeitsplätze geballt sind, und solange im Laden an der Ecke nur noch der Liter Milch gekauft wird, der im Supermarkt vergessen wurde, solange nicht über Regionalität, sondern über den Preis entschieden wird, solange wird die Landflucht anhalten.
    Theater, Kliniken oder Bäder aber können nicht in jeder Gemeinde vorgehalten werden. Das ist weder vom Personal noch von der Frequenz vertretbar und würde zu enormen Zuschüssen führen.
    Ansonsten, danke für Ihren fundierten Beitrag. Lg jj

    ·

    ❹ Wilhelm Führbringer entgegnet:
    23. November 2019 um 17:09

    Nein, Theater, Kliniken oder Bäder können nicht in jeder Gemeinde vorgehalten werden!

    Das war aber auch gar nicht mein Argument. Ich frage, warum ein Libeskind-Bau nicht in Kirchgellersen, ein Sportwaldpark Lüneburger Land inklusive Arena nicht in Bardowick, eine Klinik nicht in Neetze, ein paar Hanseviertel nicht in Thomasburg, Hittbergen und Radbruch und ein Erlebnisbad nicht in Barnstedt stehen können. Warum Hosen nicht in Barum und Polstermobiliar nicht in Tosterglope kaufen? Das Theater könnte, so wie es Jahrhunderte lang Brauch gewesen ist, durch den Kreis ziehen und fünf Abende in Bleckede, fünf in Amt Neuhaus, fünf in Oldendorf und fünf in Amelighausen spielen. Auf Gemeindesälen, in Schulaulen, in Freilichtumgebungen oder in transportablen Zelten. Aufwendiger technischer Firlefanz ist in Zeiten, in denen eine stehende Schaubühne es in puncto digital-illusionistischer Raffinesse nicht einmal mehr mit einem YouTube-Einfaltspinsel wie Rezo aufnehmen kann (geschweige denn mit Quentin Tarantino) unnötiger Kostenballast. Bezahlt die Schauspieler (w/m) besser und lasst sie am Ort der Aufführung um ihr Publikum mit den analogen Mitteln der verzaubernden mimischen Bühnendarstellung werben, nicht mit denen der elekronisch bearbeiteten Produkte aus den Traumfabriken der Filmindustrie.

    Dezentrale Ansiedlung und Ausstattung ist mein Vorschlag. Es kann nicht jede Gemeinde alles bieten, aber jede etwas. Wenn es in Betzendorf kein Straßenbauamt gibt, muss man eben nach Heinsen strampeln, um seinen Sack Streugut mit dem Lastenfahrrad abzuholen. Dann sind auch die drei fetten Sahneschnitten vom Vortagskaffeetrinken wieder von den Hüften gearbeitet.

    Herkunftsort: https://blog-jj.com/2019/11/21/etat-2020-nur-bei-der-kreisumlage-sind-die-gruenen-auf-linie-der-verwaltung/#comment-8480

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    • Claus-C. Poggensee schreibt:

      Lieber Herr Führbringer,

      vielen Dank für Ihren Verweis auf den Blogbeitrag von 2019. Gern stimme ich Ihnen in fast allem zu.

      Ihren Ansatz, Kultur wieder dezentral in die Gemeinden zu bringen, nehme ich sehr gern auf. In meiner ersten Zeit im Samtgemeinderat gab es immer wieder Diskussionen, inwieweit das Theater Lüneburg gefördert werden soll (Wir geben inzwischen recht einig 1 € pro Einwohner*in pro Jahr). Die damalige teils kontroverse Auseinandersetzung wäre sicher anders verlaufen, wenn regelmäßige Gastspiele Standard gewesen wären. Das mag sicher nicht für alle Produktionen möglich sein, das erwarte ich auch gar nicht. Wo möglich zu tingeln, wäre aber erstrebenswert und würde dem Theater Lüneburg langfristig auch mehr Besucher*innen am zentralen Spielort bringen.
      Die Kulturbeauftragte unserer Samtgemeinde, Frau Koops, hat diesen dezentralen Ansatz im Blick. Ein gutbesuchtes Jazzkonzert in der Grundschule Hohnstorf ist mir noch in froher Erinnerung. In Coronazeiten hat dieser Ansatz neu gegriffen. Da Menschen nicht mehr zur Kultur kommen konnten, musste die Kultur zwangsläufig zu den Menschen gehen. Dazu gibt es zahlreiche Beispiele, ich greife hier die Echemer Kirchgarten-Klänge heraus, ohne die zahlreichen anderen Initiativen vor Pflegeeinrichtungen und andernorts damit herunterspielen zu wollen. Und bestimmt vergesse ich hier gerade wunderbare Initiativen wie die „Corona“-Musikmeile u.v.a.m. Auf das erfolgreiche OneWorld in Reinstorf habe ich ja schon hingewiesen.
      Es ist viel passiert, und das könnte uns als Lehre aus Corona neue Impulse setzen lassen. Natürlich muss hier über Finanzierungmöglichkeiten der Künstler*innen nachgedacht werden. Als zum Budenzauber Straßenmusiker*innen mit – waren es 10 oder 12 € pro Stunde? – von der Stadt Lüneburg bezahlt wurden, habe ich mich doch arg ob der Weltfremdheit der Verwaltung gewundert. Natürlich geht der Hut rum, gut so, aber mehr Wertschätzung wäre hier sicher drin gewesen.

      Ihren Aspekt zur Dezentralisierung von Verwaltung findet sich im „Dritten Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung der ländlichen Räume“ von November 2020 vor. Hier wird auch die Dezentralisierung von Verwaltung angeregt. Eine etwas späte Erkenntnis, nachdem sie jahrelang zentralisiert wurde. Warum nicht das „Amt für Regionalentwicklung“ in Dahlenburg? Ich wette, die ÖPNV-Anbindung wäre besser und beim Breitband wären vor Januar 2021 mehr als 100 Anschlüsse verfügbar gewesen. Und ein Bäckerladen wäre nahe des Amtes sicher wirtschaftlich.
      Natürlich ist der auch amtsübergreifende informelle Austausch im Behördenzentrum beim Kaffeekochen und –wegbringen durch nichts zu ersetzen. Natürlich sind die kurzen Wege einen Stock tiefer eine immense Hilfe. Aber auch hier kommt Corona ins Spiel. Videochat ist keine Nische mehr, sondern an vielen Stellen zwangsläufig Alltag geworden. Diesen Digitalisierungsgewinn gilt es künftig weiter zu nutzen, auch in der Verwaltung.

      Die Kreisumlage sehe ich auch als ein solidarisches Steuerinstrument zur Gewährleistung der Daseinsgrundfunktionen kreisweit an. Diese pauschal zu senken, wird den Bedarfen in den Gemeinden nicht gerecht. Die eine Gemeinde packt die Erstattung verbunden mit Negativzinsen auf die hohe Kante, in anderen Gemeinden reicht der rückerhaltene Betrag für den Infrastrukturerhalt nicht aus. Gießkanne hilft nicht: Die unzureichende Refinanzierung der KiTa-Gebührenbefreiung von SPD und CDU im Land ist ausreichend thematisiert. Es kann nicht Aufgabe des Kreises sein, dieses Defizit auf Dauer abzupuffern.
      Eine Ausschüttung allein am Kriterium finanzschwach orientiert ist ebenfalls falsch. Manch Gemeinde hat schlecht gewirtschaftet, wofür Verantwortliche in der Politik selbst nach Jahren keine Rechenschaft übernehmen wollen. Andere Gemeinden stehen vor der Aufgabe, ihre Daseinsgrundvorsorge sichern zu müssen.
      Hier gilt es, über den Strukturfond des Landkreises hinaus, genauer hinzuschauen, wo welche essentiellen Projekte zu Daseinsgrundvorsorge gerade anstehen. Es kann nicht angehen, dass sich Gemeinden erst verschulden müssen, um dann Entlastung zu erfahren. Hier wird das Engagement jeder verantwortlichen Kommunalpolitiker*in mit Blick auf einen ausgeglichenen Haushalt mit Füßen getreten. Natürlich macht diese Art der Betrachtung mehr Arbeit und bedeutet Zeit für mehr Gerechtigkeit. Diese Arbeit ist im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse aber gut investiert.

      An einem Punkt bei Ihren Ausführungen bin ich mir unsicher, ob ich Sie richtig verstanden habe. Sie schreiben „Warum Hosen nicht in Barum und Polstermobiliar nicht in Tosterglope kaufen?“ Wenn Sie hier „kaufen“ durch „produzieren ggf. mit Showroom und Kaufmöglichkeit“ ersetzen, sind wir d’accord. Gerade für arbeitsintensives Polstermobiliar ist Hittbergen ein gutes Beispiel für das, was ich mir wünsche. Verkauf vor Ort finde ich auch gut, aber eine Konzentration der Einkaufsmöglichkeiten für den mittel- und z.T. auch langfristigen Bedarf in den Zentren erscheint mir auch auf Dauer ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll. Hier gilt es, dem Onlinehandel auch weiterhin attraktive lokale „Einkaufswelten“ entgegenzusetzen. Von Amazon bis Zalando darf Versandhandel nicht die Zukunft der Güterversorgung sein.

      Herzliche Grüße

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  3. ezwoh schreibt:

    Die „Taiga“ findet nicht erst hinter Dahlenburg an. Sie fängt schon hinter Barendorf an. Vorhandene Infrastruktur als Bedingung für Entwicklung zu machen, stellt die Aufgaben von Raumplanung auf den Kopf. Raumordnung soll möglichst gleiche Verhältnisse fördern. Dazu ist eine gut ausgebaute Infrastruktur unverzichtbar. Gut ausgebaut heißt: Nicht nur die in Richtung Hamburg gelegenen Orte brauchen eine gute Infrastruktur. Eine gute ÖPNV-Verbindung nach Lüneburg ist leider nur in wenigen Orten vorhanden. In etlichen Orten findet ÖPNV in Schulferien fast gar nicht statt. Die Stillegung des Haltepunkts Wendisch-Evern der Wendlandbahn war in diesem Politikbereich ein schwerer Fehler. Eine so schnelle Verbindung zu Lüneburgs Bahnhof und Innenstadt kann man mit Bussen nicht realisieren.
    Radwege zu bauen bzw. zu fördern, auf denen sich nicht einmal zwei Räder mit Kinderanhänger begegnen können ist auch nicht zielführend. Genau das macht der Landkreis Lüneburg, der durch seine Radverkehrsförderpolitik die Kommunen bestraft, die ausreichend breite Radwege bauen woll(t)en. Sie bleiben nach Abzug der Förderung auf deutlich höheren Kosten sitzen.
    Genauso falsch war es vor mehr als 20 Jahren, im Westen Lüneburgs den seit 1940 freigehaltenen Korridor für den Bau einer Westrandstraße von der damaligen B 4 bei Ochtmissen bis zum Munstermannskamp zuzubauen und anschließend westlich davon neue Baugebiete auszuweisen, die genau diese Straße brauchen. Ist es da verwunderlich, dass man in Vögelsen und Reppenstedt keine Ersatzstraße dafür haben will?
    Reppenstedt und Adendorf sind Suburbia. Vögelsen geht mit sehr viel weniger Einwohnern aber zahlreichen geplanten bzw. im Bau befindlichen Neubaugebieten in diese Richtung.
    Die Parteien, die diese Fehler zu verantworten haben, lassen sich benennen. Die Grünen sind nicht dabei.

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    • Bertram Fuhrhop schreibt:

      „Vorhandene Infrastruktur als Bedingung für Entwicklung zu machen, stellt die Aufgaben von Raumplanung auf den Kopf“?

      Daraus folgt:

      Nichtvorhandene, aber nötige Infrastruktur zur Bedingung von Entwicklung zu machen, stellt die Aufgaben von Raumplanung wieder auf die Füße!

      Demnach müssten Sie die feste Elbquerung bei Neu Darchau wollen.

      Die Parteien, die den Fehler von deren Verhinderung zu verantworten haben, lassen sich benennen. Die Grünen sind dabei.

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      • jj schreibt:

        Sie vergessen die Sozialdemokraten, ohne die wäre es nicht gegangen- die größte Fraktion im Kreistag. Hier der Artikel :
        https://www.landeszeitung.de/lokales/48123-kreistag-beschliesst-endgueltiges-aus-fuer-die-elbbruecke-neu-darchau/
        Lg jj

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      • Bertram Fuhrhop schreibt:

        Jawoll, das war Landrat Manfred Nahrstedt, der dreizehn Jahre lang wie ein trockenes Blatt hin- und hergeweht wurde, je nachdem aus welcher Ecke der Wind um das Rathaus strich. Hätten sie nicht gemeinsam den Kreistag vom 17. Dezember 2018 zu verantworten, könnte sich heute vermutlich nicht einmal mehr Franz-Josef Kamp an dessen Namen erinnern.

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      • jj schreibt:

        Ne, die SPD-Fraktion hat abgestimmt 😉

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      • ezwohe schreibt:

        Die Verhinderung der Brücke war und ist kein Fehler. Die Verkehrspolitik ist bisher viel zu einseitig auf motorisierten Individualverkehr auf vier Rädern ausgerichtet. Ich habe ausdrücklich einen besseren ÖPNV gefordert. Den gibt es dort schon, man kann ihn aber verbessern: Einfach die Elbfähren für die Einwohner von Amt Neuhaus kostenfrei machen. Das kostet den Bruchteil einer Brücke. Wie unsinnig diese Brücke ist, sieht man daran, dass der Landkreis eine Wirtschaftlichkeitsprüfung verweigert. Wenn man alles zur Verfügung stehende Geld in diese Brücke steckt, kriegt man keine brauchbare Infrastruktur.
        Im übrigen hat die seit vielen Jahren vorhandene Brücke bei Dömitz dort absolut nichts gebracht – im Gegenteil. Dömitz stirbt aus, hat seit dem Brückenbau mehr als ein Viertel der Einwohnerzahl verloren. Die zerstörte Eisenbahnbrücke dort ist übrigens bis heute nicht wieder hergestellt worden, die Eisenbahntrasse nach Dannenberg schon lange demontiert.

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      • Markus Schulz schreibt:

        Wussten Sie, dass der Arbeitstitel des Filmklassikers „Titanic“ bis ganz zuletzt „Eine verhängnisvolle Fähre“ lautete?

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      • Claus-C. Poggensee schreibt:

        Lieber Herr Fuhrhop, liebe(r) ezwohe,

        die Diskussion zur Elbbrücke findet eigentlich an anderer Stelle im Blog statt, deshalb nur kurz dazu: Einigkeit besteht m.E. darin, dass wir eine zuverlässige Elbquerung bei Darchau – Neu Darchau brauchen und der Bau einer Elbbrücke noch Jahre dauern wird. In meinen Augen ist es durch nichts zu rechtfertigen, Schüler*innen wie beim Niedrigwasser 2019 über die Lauenburger Elbbrücke wochenlang nach Bleckede und anderorts zu transportieren. Hier muss eine schnelle Lösung her und die besteht in einer auch bei Niedrigwasser einsetzbaren Fähre, wenn es nach mir geht kostenfrei für alle Einwohner*innen des Amt Neuhaus.

        Im Amt Neuhaus ist lediglich Neuhaus selbst als Grundzentrum Jahre vorgesehen. Allen anderen Orten im Amt wird nur die Eigenentwickung zur Sicherung der jetzigen Einwohner*innenzahl zugestanden. Für beides zusammen ist für die nächsten 10 Jahre eine Fläche von 12 Fußballfeldern vorgesehen, wovon rund 7,5 Felder nur durch Einzelhäuser bebaut werden dürfen. Gleiches gilt für die Samtgemeinde Dahlenburg und alle Gemeinden um Bleckede. Nur die Stadt Bleckede und Dahlenburg selbst dürfen wachsen. Bei der Ausweisung von W1 bis W3 Standorten (vgl. oben) spielt die Straßenanbindung keine Rollen, sondern nur die Anbindung an den ÖPNV. Selbst beim Bau der Brücke ändert sich also an der im RROP geplanten weiteren Marginalisierung der Dörfer im Osten NICHTS.

        Da angesprochen eine kleine Anmerkung zum Thema „Wirtschaftlichkeitsprüfung“. Sowohl zum Bau der Grundschule Neetze als auch zur KiTa in Hohnstorf fordert der Landkreis diese. Für das eigene Bauprojekt Elbbrücke oder den Neubau der Außenstelle der Grundschule Hohnstorf in Echem (Wohnort des Landrats) liegt keine derartige Forderung der Kommunalaufsicht des Landkreises vor.

        Herzliche Grüße

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  4. Jürgen Hempel schreibt:

    Vielleicht sollten sich die lüneburger Landwirte mal mit Terrafarming auseinander setzen. Diese würde ein Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, nicht nur in Schutzgebieten, fast schon überflüssig machen. Das macht dann halt ein bissl mehr Arbeit. Auch sollten sich die Kleinbauern zusammen schließen und direkt an den Verbraucher verkaufen, wie z.B. auf dem Wochenmarkt. Allerdings diesen dann jeden zweiten Tag stattfinden lassen. So kann ich als Verbraucher dann jeden zweiten Tag frisch und regional einkaufen. So weiß ich dann woher meine Nahrung kommt und wer sie wie produziert hat. Auch würde dann der Kontakt zwischen Erzeuger und Verbraucher viel ausgeprägter. Ich bin als kleiner Junge noch mit der Milchkanne zum Bauern gegangen und hab frische Milch geholt. Auf der anderen Seite müssen Großbauern, die in Massen düngen und Pflanzenschutzmittel verwenden, zur Kasse gebeten werden und auf importierte Lebensmittel die auch in Deutschland produziert werden mehr Zölle erhoben werden. Dies würde dann zur Folge haben das sich die Preise angleichen und ich nicht unbedingt mehr Geld auf dem Markt ausgeben muss. Was mich ärgert ist das solche Tage (gern ohne Mahnfeuer) nicht in Städten wie Lüneburg stattfinden. Hier würden sie mehr Menschen erreichen und ich würde mich auch gern mal persönlich mit den Bauern austauschen.

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  5. Winfried Hennig schreibt:

    Die grünen sind das nicht die die lieber Straßen für Radfahrer sperren???? Und elektro Mobilität fördern????

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    • Ulf Reinhardt schreibt:

      Herr Hennig, geht’s bitte ein bißchen genauer: Welcher Grüne hat welche Straße für Radfahrer gesperrt? Und wo ist der genaue Bezug zu dem Beitrag von Claus Poggensee?

      Sprechen Sie Ihre Kritik doch einfach ganz konkret aus, das fördert eine produktive Diskussion.

      Ein bißchen über Facebook-Niveau darf die Diskussion in diesem blog schon bleiben, oder Herr Jenckel?

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