Lüneburg kann richtig gut Wandel – eigentlich…

Zwei Symbole für den Wandel in Lüneburg: Das Kaufhaus Karstadt ist in schwerer See, weil das Prinzip nicht mehr verfängt. Die Uni mit dem Libeskind-Bau ist Zukunft, aber sie ist noch nicht in der Mitte von Lüneburg angekommen, (Fotos: jj)

Lüneburg, 3. November 2022

Die Ratsfrau trieb im Gespräch eine Sorge um: Lüneburg, so wunderschön und vital, müsse verdammt aufpassen, dass der Stadt nicht wieder der Geruch von Provinz und der Muff von Tausend Jahren anhafte. Ich wollte widerspreche. Aber vermutlich hat die Frau mit der Sorge recht. 

Auf den ersten Blick sagen jetzt natürlich alle: Blödsinn. Lüneburg habe doch gerade bei einer Umfrage zu den attraktivsten Städten der Republik gehört, hohe Lebenquallität, nur zu wenig Platz. Vorsicht: Das ist eine Momentaufnahme, vor allem eine Retrospektive und nicht eine Zukunftsaussicht. 

Warum könnte Lüneburg ins Provinzelle abdriften? Es gibt mehrere Gefahren und Gründe: Der Wandel im Handel, die Fokussierung auf die aktuellen Notlagen bei Geld, Corona und Flüchtlingen. der dünne Wissenstransfer von Uni zur Stadt, Ja, und es scheint zudem mehr Bewahrer und Pensionäre zu geben als Pioniere und junge Wilde. Ich selber erwische mich bei unserer liebsten Zwangshandlung, wenn Veränderung ansteht: Im Gestern war alles schöner und größer. 

Den Wandel im Handel mag man beklagen. Die Gestrigen kennen den Schuldigen: den Online-Handel. Dabei bemäntelt dieses Argument nur das eigene Zögern und Versagen und in jedem Fall die folgenlosen Fensterreden. 

Das Fanal des Wandels ist zurzeit die Notlage von Karstadt, einst ein Kundenmagnet für die ganze Innenstadt, heute ein trauriges Abbild einstiger Größe. Karstadt ist der Ausgangspunkt und der Endpunkt der Idee  „Kaufhaus Lüneburg“. Ein Weg, der viele Jahre so gut funktioniere, dass man die Warnsignale einfach nicht wahrgenommen hat. Die Zukunft gehört eben nicht allein dem Konsum, sondern der Kombination von Erlebnis, Einkaufen, Kultur, Wohnen und möglichst viel Spaß, weniger Verbote, und viel Individualität. 

Das schreibt sich so einfach daher, ist aber mit Schicksalen, mit Schmerz, mit Angst und Wut verknüpft. Und gerade die Mitarbeiter von Karstadt erleben nicht die erste Rosskur und leben in ständiger Unsicherheit. Insofern gibt es nichts zu jubeln, sondern mehr zu helfen und zu unterstützen, um den Umbruch nicht zu einem Zusammenbruch werden zu lassen. Hoffen wir mal, dass die neue Taskforce „Innenstadt“ im Rathaus zupackt. Denn Lüneburg kann eigentlich richtig gut Wandel.

Da lohnt ein Blick zurück auf die Garnison Lüneburg. In den 80er- und 90er-Jahren wurden viele Krokodilstränen geweint, obwohl schnell klar war,  dass nicht aufzuhalten ist, was unabwendbar war, die Schrumpfkur der Bundeswehr: Lüneburg verlor drei Kasernen samt Handels- und Dienstleistungsumfeld. Aber was hat Lüneburg daraus gemacht? Die Stadt hat eine Verjüngungskur erlebt, eine hippe Uni, einen Lünepark und eine Hanse-Viertel. Das war ein Titanenakt, der Lüneburg gut getan hat. 

Apropos Zukunft; Im Hanse-Viertel investieren die Digitalagentur web-netz und die IT-Spezialisten von Werum Solutions annähernd dreißig Millionen Euro in neue Betriebsstätten. Zwei Lüneburger Player, die Wachstumserwartung nicht nur erfüllen, sondern toppen. Zum Wandel gehört deswegen auch, Vision zu begraben, wie zum Beispiel den Digital-Park zwischen Reppenstedt und Lüneburg. Der Nukleus dieser Idee, Bionic (3D-Druck) ist in schwerer See, statt auf Kurs. 

Zur  großartigen Konversion gehört der Lünepark, einst Grenzschutzkaserne. Ich bin durchs Karree geradelt. Da ist nicht nur Lüneburgs größte Werbeagentur G.V.K. angesiedelt, ein nationaler Player, da bieten fast ein Dutzend Firmen digitale Systeme, Dienstleistungen etc. an. Auch dort wird der Anspruch „Digital-Park“ schnell erfüllt. 

Und in der Leuphana, ehemals Scharnhorst-Kaserne? Auch da ist Lüneburgs Zukunft. Nur der Wissenstransfer von der Universität zur Stadt darf nicht unterm Radar laufen. Denn gerade die Leuphana hat sich der Zivilgeselslchaft des 21. Jahrhunderts verschrieben. Die Studierenden halten Lüneburg jung, aber die Uni an sich ist nicht in der Mitte der Stadt angekommen, auch nicht mit dem symbolträchtigen Libeskind-Bau, der nie die Schwungkraft einer „Leuphi“ erfüllt. Kurz, da ist Luft nach oben.

Will Lüneburg noch mal zeigen, wie gut die Stadt Wandel kann, gehört eine Idee an den Anfang, die in der Bürgergesellschaft verfängt – ganz ohne neue Debattierclubs und Arbeitskreise, ohne Theorie-Bombast, sondern einfach, weil die Idee die Liebe zu dieser wunderschönen Stadt spiegelt und den Anspruch erfüllt: Es lohnt sich dafür gemeinsam einzustehen. Der Weg wird trotzdem nicht ohne Rumpeln und Rückschläge laufen. Aber alle wissen wofür. 

Hans-Herbert Jenckel

Über jj

Journalist, Dipl.-Kaufmann, Moderator, Lünebug- und Elbtalaue-Liebhaber
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3 Antworten zu Lüneburg kann richtig gut Wandel – eigentlich…

  1. Werner Sanders schreibt:

    Die Wände des Huldigungssaals im Rathaus sind mit riesigen, Schwindel erregenden Fantasiemalereien psychedelisch dekoriert, ein ovales Deckengemälde zeigt einen Siegeszug, der, wo immer man während der Sitzungen platziert ist, auf einen zuzukommen, den Betrachter in den Triumphtaumel zu integrieren scheint. Wen kann es wundern, wenn ein Jörg Kohlstedt sich für Viktor hält und eine Andrea Schröder-Ehlers sich für Viktoria?

    Die Theaterintendanz rätselt, wie sie ihre Angestellten bezahlen soll? Im Museum steigen die Heizkosten? Auszeichnungen wurden ausgelobt, aber die Finanzierung der Preisgelder nicht gesichert? Eine „Arena“ soll fürstlich bezuschusst werden, aber warum und wozu, die Frage weiß niemand seriös zu beantworten? Die Stabilisierung und Neueinkleidung des morschen Gradierwerkskeletts lässt sich nicht über Nacht bewerkstelligen? Christel John, Sören Pinnekamp, Anna Bauseneick, Wolfgang Goralczyk, Eckhard Pols und ihre Fraktionsvorsitzende Monika Scherf halten fidel fordernd Salzsäckchen in LZ-Kameras, für die sie touristische Präsentations- und Vermarktungsflächen aufgemöbelt und vergrößert sehen möchten?

    Und für alles, was man leicht verlangen, aber nicht mehr leicht bekommen kann, gibt man den Grünen, der seit 2021 stärksten Ratsfraktion die Schuld, obwohl die heute bejammerten Sanierungsstaus unter Oberbürgermeistern aus SPD und, jawoll, aus CDU seit vier Jahrzehnten angebahnt worden sind. Ein ehemaliger Chefreporter der Lokalzeitung beschrieb den hohen Studentenanteil an der Stadtbevölkerung als kulturellen Standortnachteil; die meisten Studenten seien nun einmal Grünen-Wähler. Eine Leserbriefschreiberin beschwor ihre 34 Facebook-Follower, sie möchten sich auf eine – tatsächlich immer noch nach dem Hitler-Steigbügelhalter „Hindenburg“ benamte – Straße begeben. Dort werde man sehen, dass die Stadt sehr wohl schnelle Entscheidungen treffen könne – zugunsten der Radfahrer. In mehrfacher Hinsicht drängte sich da die Frage auf: Wo mag wohl leben, wer glaubt, dass es in Lüneburg schon genug Radwege gebe?

    Werden Salzsackkioske, Museen und Theater je wieder so viele Besucher haben wie vor der Pandemie? Ob ein Rückgang des Zuspruchs bei knapperen Kassen ein Legitimationsproblem für die Kulturausgaben erzeugen würde, kam während der Letzten Ratssitzung im Huldigungssaal nicht zur Sprache. Das betuchte Kulturbürgertum erwartet, dass die Stadt ein Kulturangebot in vertrautem Umfang vorhält. In der fixen Idee, die Grünen seien die Barbaren innerhalb der Stadtmauer, bricht sich vielleicht zuletzt ebenfalls die verdrängte Ahnung Bahn, dass die Konstanz der Nachfrage sich auch auf diesem Feld keineswegs von selbst versteht.

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  2. Anne König schreibt:

    „KEIN GELD VOM LAND“

    … lässt es Redakteur Rouven Groß am Donnerstag, den 3. November 2022 auf S. 2 in der Elbe-Jeetzel-Zeitung krachen und führt aus:

    „Dem Koalitionsvertrag zufolge müsste die neue rot-grüne Landesregierung diese Zusage der rotschwarzen Vorgängerlandesregierung jetzt kassieren. Und das wird sie auch tun, heißt es auf EJZ-Nachfrage aus der Staatskanzlei“.

    Welche Zusage?

    Links vom dreispaltigen Artikel insistiert ein Rouven Groß-Kommentar auf derselben EJZ-Seite: „Die Pläne des Landkreises Lüneburg, die viele Millionen Euro teure Brücke zu bauen, fußen auf der Zusage des Landes, die Kosten zu einem großen Teil zu übernehmen. Und diese Zusage wird die neue Landesregierung kassieren, heißt es auf EJZ-Nachfrage aus Hannover.“

    Online: https://www.ejz.de/lokales/lokales/elbbruecke-irgendwann-farbe-bekennen_50_112199079-28.html

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    Es scheint so, als könne nicht nur die Zukunftsstadt Lüneburg richtig gut Wandel
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    Werfen wir einen Block ins Jahr 2036:

    Im Bleckeder Speckgürtel Wendischthun/Amt Neuhaus fehlt es eigentlich an gar nichts. Die Hecken sind immergrün, das Bier fließt, der Strom und das Geld fließen sowieso und die S-Bahn braust alle 20 Minuten durchs frisch duftende Gradierwerk im neu geregelten Kurbetrieb zum renovierten Waldschwimmbad Amelinghausen. Nur an einem mangelt es tendenziell dann doch noch in Rechtselbien: Spannung und/oder Spannungsbögen.

    Wann kehrt der Dramaturg Holm Keller, derzeit Dauerwarteschleifen-„Executive Chairman & CEO bei kENUP Foundation“, zurück und stylt die Region – gemeinsam mit dem unausgelasteten Bernd Althusmann, dem Event-Spezialisten Klaus Hoppe, mit dem wendländischen Wirtschaftsentwickler Eckhard Pols sowie mit Michael Zeinert, dem Filialisten-Propheten und Geschäftsführer der Mitmach-IHKLW, – zum kreativ-dynamischen Innovationsinkubator ganz neuen Typs, um so die lüneburgisch-leuphanatische Virilgesellschaft auf die Herausforderungen des 22. Jahrhunderts vorzubereiten?

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  3. Grubenül schreibt:

    Der Wissentransfer ist keine Einbahnstraße und nur Gebäudehüllen mit Namen entscheiden und Garantieren keinen Sinnhaftigen Wandel. Sonst kleben wir uns alle bald irgendwo an. Oder nutzen die Nahrung, die uns bleibt für Gemälde, um diese mit Erbsensuppe satt werden zulassen. Die Uni ist besonders schön in der kalten Winterzeit, Wärme und Bildung. Nur Elitären vorbehalten? … Bei Karstadt geht die Angst um. Ihr Nest wird kalt…. Diese Menschen sind älter, für einen Wandel nicht zu gebrauchen? Der Slogan: Jung gleich gesicherte Innovation? Zu kurz gedacht… Was passiert wohl wenn die Leuphana zum zweiten Mal Insolvenz anmelden müsste und dann schließt?

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