
Lüneburg, 7. November 2022
Unbehagen beschleicht mich, wenn ich lese, wie ein kleines Preisgeld einen großen Disput auslöst. Die Rede ist vom Hosenfeld-Szpilman-Preis, den die Uni bis 2017 verliehen hatte. Die Ouvertüre zur Neuauflage ist ein Trauerspiel.
Namentlich die Universitäts-Gesellschaft will den Preis wieder vergeben und die Hansestadt ist im Boot, soll den Preis der Erinnerungskultur auch mit einem Zuschuss fördern. Wir reden von 2000 Euro. Stattdessen fremdeln Universität-Gesellschaft und Rat gewaltig.
In diesem Fall geht es nicht um irgendeinen Preis. Er begründet sich im dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte: Drittes Reich, Krieg, Judenverfolgung, Warschauer Ghetto. Dort in Warschau hat der Wehrmachtsoffizier Wilm Hosenfeld in den letzten Kriegstagen den jüdischen Pianisten Władysław Szpilman versteckt und gerettet. Und nicht nur den. Hosenfeld starb 1952 elend in russischer Kriegsgefangenschaft. Die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem verlieh Hosenfeld im November 2008 postum den Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“.
Der Rat hat den Zuschuss bisher nicht freigegeben, letztlich auch, weil sich Mitglieder offenbar überrascht und überrumpelt fühlten. Aber das ist ein anderes Kapitel. Auch dass sich Ratsfrauen und Ratsmänner gerne über 1000 Euro wie die Kesselflicker streiten, um dann für andere Projekte ohne Federlesens Hunderttausende rauszuhauen. Das gehört in Lüneburg zum Ratskolorit wie die Tatsache, das Ratsvorlagen ungern gelesen werden.
Die Sozialdemokraten, so ist auf ihrer Facebook-Seite zu lesen, sind um Schadensbegrenzung bemüht. Ginge es nach der SPD-Fraktion, wären die 2000 Euro frei. Nun aber muss der Zuschuss noch einmal eine Runde durch die Ratsgremien tingeln. Peinlich genug. Denn jetzt sagt der Rotary-Club, er übernehme die Kosten für Preis und Proklamation und lässt den Lüneburger Rat ganz blass aussehen.
Das Gezerre um den städtischen Zuschusses samt Fake-News belastet auch das eh komplizierte Verhältnis von Stadtgesellschaft und Campus-Universum.
Wenn es um NS-Geschichte in Lüneburg geht, das hat zuletzt die Debatte um das Denkmal der 110. Infanterie-Division und die Erinnerungskultur in Lüneburg deutlich gezeigt, ist Weit- und Umsicht gefragt. In der Preisfrage wäre es angezeigt gewesen, im Vorfeld mit den Ratsfraktionen den Kontext genauer zu skizzieren und angesichts der Sensibilität des Sachverhalts vorab eine Mehrheit zu sichern. Das geht auch in schweren Zeiten, wenn es um 2000 Euro geht. Letztlich ein kleines Zeichen einer kleinen Stadt gegen den Rechtsruck in Europa. Nun bleibt ein Unbehagen.
Hans-Herbert Jenckel
Die Wogen sind geglättet und ich frage mich, warum nicht gleich. Hier die Pressemitteilung der Stadt zum Hosenfeld-Szpilman-Preis
Kulturausschuss stimmt für städtischen Finanzbeitrag zum Hosenfeld-Szpilman-Preis
Als eine von drei auslobenden Institutionen wird sich die Hansestadt Lüneburg auch finanziell am Preisgeld des Hosenfeld-Szpilman-Preises beteiligen. Diesen Beschluss fasste nach intensiver Beratung der städtische Kultur- und Partnerschaftsausschuss (KPA) am Montag (21. November 2022) im Glockenhaus. Die Hansestadt beteiligt sich mit 2000 Euro an dem Preisgeld, das insgesamt 5000 Euro umfasst. Die übrigen 3000 Euro stiftet der Lüneburger Rotary Club. Der Preis soll alle zwei Jahre verliehen werden, das nächste Mal 2023. Der städtische Anteil wird im Haushaltsentwurf 2023 des Bereichs Kultur entsprechend eingeplant. Die finale Bestätigung dieser Empfehlung obliegt dem Rat in der nächsten Sitzung.
Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch begrüßt den Schritt: „Verwaltung und Rat stehen geschlossen zu diesem wichtigen Preis der Erinnerungskultur und möchten diesen unterstützen. Das war bereits in der Ratssitzung deutlich geworden. Der Kulturausschuss hat jetzt nach intensivem Austausch nochmal einstimmig bekräftigt, dass diese Bedeutung auch durch eine regelmäßige finanzielle Beteiligung zum Ausdruck kommen soll. Das sehe ich als gutes Zeichen des Zusammenstehens.“ Wichtig ist der Oberbürgermeisterin ebenso der Dank an den Lüneburger Rotary Club, der angeboten hat, sich über seinen Anteil am Preisgeld hinaus finanziell einzubringen. Kalisch: „Ich danke dem Club für sein außerordentliches Engagement. Die verschiedenen Partner sind hier weiter in guten Gesprächen.“
Der Hosenfeld-Szpilman-Gedenkpreis wird als Preis der Erinnerungskultur – Gegen das Vergessen – in der Hansestadt Lüneburg künftig gemeinschaftlich ausgelobt und verliehen von der Universitätsgesellschaft Lüneburg, der Museumsstiftung Lüneburg und der Hansestadt Lüneburg. Über Rahmenbedingungen und Fortentwicklung des Preises soll laut KPA-Beschluss fortan das gemeinschaftlich besetzte Kuratorium entscheiden. Ursprünglich hatte die Leuphana Universität Lüneburg den Hosenfeld-Szpilman-Gedenkpreis in den Jahren 2005 bis 2017 verliehen.
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Unter der Überschrift:
„Mehr Gelassenheit, weniger Geschnatter“
… wirbt LZ-Redaktionsleiter Malte Lühr in der Landeszeitung (Sonnabend, 12. November 2022, Seite 4) für die Abkehr vom Reißerischen und für die Rückkehr zum Angemessenen unter denjenigen, die „Unbehagen beschleicht“, wenn ein kleines Preisgeld KEINEN großen Disput auslöst, obgleich sie sich von ihrer Kater-Karlo- bzw. Katzensäule herab alle Mühe geben, die Glocken im Hof auf Sturm zu läuten.
Das Gezerre und Gezeter werde der Bedeutung der Projekte nicht gerecht.
Lühr stellt fest u. a.: „Fest steht: Die Erhöhung des Hosenfeld-Szpilman-Preisgeldes ist vom Stadtrat bislang nicht abgelehnt worden – trotz fehlerhafter Verwaltungsvorlage. Vielmehr findet das Vorhaben unter anderem mit der SPD-Fraktion und Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch (Grüne) parteiübergreifende Befürworter. Doch wird fraktionsübergreifend auch gefragt, ob sich die Bedeutung eines Preises an der Höhe des Preisgeldes bemisst und ob sich die Stadt Mehrausgaben angesichts der Haushaltslage leisten kann? Diese Fragen wollte der Verwaltungsausschuss zuletzt nicht beantworten. Vielmehr sollten sie dort diskutiert werden, wo sie aus Sicht des Gremiums hingehören: in den Kulturausschuss, der in Kürze tagt. Im Dezember könnte der Rat über die Erhöhung entscheiden, bevor der Preis 2023 vergeben wird.“ → Quelle: https://www.landeszeitung.de/lueneburg/676169-kommentar-mehr-gelassenheit-weniger-geschnatter/
Der Mahnung zur – nötigen – Besonnenheit vom Lüneburger Redaktionsleiter steht die – ungenötigte – Besinnunungslosigkeit des Lüchower Redaktionsleiters gegenüber, der vor neun Tagen meinte, einen „Paukenschlag“ zu vernehmen, wo mancher doch kaum ein leises Zischen zu hören glaubte:
In der Elbe-Jeetzel-Zeitung (Sonnabend, 5. November 2022, Seite 4) gab EJZ-Chef Jens Feuerriegel sich hemmungslos dem eigenen Wunschdenken hin und knüpfte an, wie er selber formulierte, „das Detail aus dem Koalitionsvertrag“ (nämlich „dass die neue rot-grüne Landesregierung für Neu Darchau und Bleckede ein Fährkonzept favorisiere – statt einer Brücke“) die weitreichendsten Schlussfolgerungen, die einem, der Politik mit der Feder mitgestalten möchte, nur einfallen können:
Denn, meint Feuerriegel, „obwohl die Staatskanzlei klar macht, dass eine Brücke nicht finanzierbar sei, hält Lüneburgs Landrat Jens Böther (CDU) daran fest. Dem Paukenschlag folgt sichtbarer Realitätsverlust. Über 50 der kalkulierten 70 Millionen Euro Baukosten erwarten die Lüneburger Planer vom Land – doch diese Millionen sind mit dem Koalitionsvertrag und der jüngsten Ansage futsch, wohl mindestens für die nächsten fünf Jahre. Wenn Landrat Böther über die Brücke schwadroniert, sie wäre eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte in Niedersachsen, hat er offenbar die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Das Land braucht Flüssiggas-Terminals, Schulen, Kindergärten, Elektro-Ladesäulen für Autos, Unterkünfte für Geflüchtete und das flankiert von einem Schuldenabbauplan für die zukünftigen Generationen. Eine Brücke in Neu Darchau – dream on! Passt derzeit einfach nicht in die politische und finanzielle Landschaft.“ → Quelle: https://www.ejz.de/lokales/kommentare/drei-politische-paukenschlge_303_112199674-28-.html
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Wer es wünscht, kann versuchen, dem von Malte Lühr beschriebenen, von Bloggern, von „profilierungsbemühten“ Ratsdamen und mit diesen im Wettbewerb stehenden Ratsherren, von ehemaligen Hauptverwaltungsbeamten und deren Facebook-Trompeten sowie dem von Zeitungskommentatoren exemplifizierten Phänomen noch ein wenig genauer auf die Spur zu kommen. Das „Zapp Medienmagazin“ des NDR bietet Aufklärung unter dem Titel:
„Hauptsache Reichweite: Sind Influencer die neuen Journalisten?“
(Video: 22:52 Minuten: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Hauptsache-Reichweite-Sind-Influencer-die-neuen-Journalisten,zapp13952.html)
Influencerinnen und Influencer übernehmen immer öfter klassische Journalistenjobs und das teilweise sogar unter dem Dach des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (oder unter dem Schirm einer typischen Lokalzeitung mit Sitz in Lüneburg, die im 1. Quartal 1998 noch auf eine Druckauflage von 37.235 kam, im 3. Quartal 2022 aber nur noch auf 22.282). Doch nicht nur Influencer übertreten die Grenze zum Journalismus, dies passiere auch in die andere Richtung, indem Journalisten immer mehr zu Influencern mutieren (möchten).
“Zapp” fragt: “Ist es ein Problem, dass die Grenzen verschwimmen?”
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Das „selbst Denken“ dem „Denken mit“ eindeutig vorziehen.
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Sehr geehrter Herr Berg,
bei dem Preis geht es um das Thema Erinnerungskultur und Zivilcourage, wie Sie sehr wohl wissen. Wie Herr Jenckel betreits beschrieben hat , ist der Umgang bei bereits vorgefassten Ratsbeschlüssen mehr als unglücklich und setzt aus aktuellem Anlaß kein gutes Signal.
Selbst Sie werden das nicht bestreiten können.
Hauptgrund ist aber die fehlende Kommunikation der o.g. genannten Akteure und das ist auf diesem Hintergrund mehr als bedauerlich.
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Ist zwar nicht zum Thema, aber bei Sprachpapst Wolf Schneider mache ich eine Ausnahme. lg jj
Apropos „Kommunikation“:
Der Journalist und Sprachkritiker Wolf Schneider ist tot. Er starb in der Nacht vom 10. auf den 11. November 2022 in Starnberg. Zunächst hatte die Süddeutsche Zeitung berichtet.
Der am 7. Mai 1925 in Erfurt geborene Schneider wurde 97 Jahre alt. Er leitete unter anderem die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg und arbeitete jahrzehntelang bei großen deutschen Medienhäusern. Mit seinen 28 Büchern wie „Unsere tägliche Desinformation. Wie die Massenmedien uns in die Irre führen“ (1984), „Wörter machen Leute. Magie und Macht der Sprache“ (1976), „Deutsch für Profis. Wege zu gutem Stil“ (1982), „Deutsch für Kenner. Die neue Stilkunde“ (1987) und „Deutsch fürs Leben. Was die Schule zu lehren vergaß“ (1994) wurden [kennt man eines, kennt man alle] nicht nur LZ-Volontäre im „germanischen Kulturkreis“ jahrzehntelang getriezt.
Seine journalistische Laufbahn begann Schneider als Übersetzer bei der „Neuen Zeitung“ der amerikanischen Militärregierung nach dem Zweiten Weltkrieg in München. Dort wurde er Redakteur, ohne Studium und ohne Volontariat. Später wechselte er zur Nachrichtenagentur AP, danach zur „Süddeutschen Zeitung“. Dort war er Leiter der Nachrichtenredaktion, häufiger Autor der „Streiflicht“-Kolumne, dann Washington-Korrespondent.
„Stern“-Gründer Henri Nannen holte ihn 1966 nach Hamburg. Schneider wurde erst Chef vom Dienst, dann Verlagsleiter, bevor er 1971 zu Springer wechselte. Unter anderem war er 13 Monate Chefredakteur der „Welt“.
Quelle: dpa
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Der alte Rat hatte am 13.10.2021 noch beschlossen ,dass sich die Stadt an der Verleihung des Hosenfeld-Szpilmamn Preises beteiligt . Hintergrund war ein Zeichen für Erinnerungskultur und Zivilcourage zu setzen. Über die in der letzten Ratsperiode sehr umfänglich diskutiert wurde.
Und nun ein Jahr später kann sich der Rat nicht durchringen 2000,- Euro Preisgeld einzustellen(alle 2 Jahre), zu den 3000,- Euro,die ja bereits der RC Lüneburg zugesagt hatte.
Das man ernsthaft mit dem Argument des desolaten Haushalts daherkommt verwundert umso mehr ,da dieser Rat den mehr als 70 Verwaltungsstellen ,die zusammen ca. 2 Millionen Mehrkosten in den Etat einbuchen dürften ,noch zugestimmt hat .
Die Art und Weise des Ablaufs zeigt beispielhaft wie es wirklich um Rat, Stadtverwaltung ,Universität und Stadtgesellschaft bestellt ist.
Es wird nicht miteinander gesprochen. Wahrlich ein Trauerspiel.
Und das Ganze auf dem Hintergrund eines brutalen Angriffskrieges in Europa, Kriegsflüchtlingen in Deutschland und morgen dem Jahrestag der Reichsprogromnacht.
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Woher wissen Sie denn, mit welchem Argument „man“ daherkommt, Herr Dr. Buller?
Und „Reichsprogromnacht“ [sic!]?
Greifen Sie da nicht, um ernst genommen werden zu können, etwas zu hastig in Ihren Karton mit wohlfeilem, aber in diesem allenfalls beschämenden Zusammenhang öffentlicher Knickerei doch wohl abstoßendem, weil weit über jedes vertretbare Maß hinaus deplaziertem Empörungsvokabular?
Sie meinen die (befeuert von der Lokalpresse und der Ratsverwaltung) von gewalttätigen uniformierten Lüneburger Gernegrößen organisierten und gelenkten Raub-, Mord- und Zerstörungsaktionen eines blutrünstig entfesselten Mobs „ganz normaler Bürgerinnen und Bürger“ vom 9. auf den 10. November 1938 gegen ihre Nachbarn jüdischen Glaubens in Erinnerung rufen zu müssen?
Dann sollten Sie sich wenigstens die Zeit nehmen, vorher unter dem richtigen Stichwort („Pogrom“, russisch Погро́мъ = „Verwüstung“, „Zertrümmerung“, „Massaker“) nachzuschlagen.
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