Politiker, die Haltung zeigen, stehen auf der Roten Liste. Denn es sind nicht die gemeint, die glauben, da ist was passiert, ich muss reden. Die Sorte wird gerade im Online-Eskapismus zerrieben.
Vor zwei Wochen habe ich nach dem Anschlag von Berlin unter der Blog-Überschrift „Phrasendrescher im Schlepptau des Terrors“ über hyperaktive Politiker räsoniert, die reflexartig ihren Aktionismus ausleben und mehr Schutz für alles und jeden fordern.
Dann kommt die Silvesternacht mit dem Großaufgebot der Polizei in Köln und dem Tweet über „Nafris“, was polizeiintern für nordafrikanische Intensivtäter steht. Schon rügt die Grünen-Chefin Peter die Polizei und erntet unerwartet einen Shitstorm. Darauf erklärt sie im Spiegel, was sie vorher besser hätte tun sollen: „Wenn der Eindruck entstanden sein sollte, ich würde die Polizei stigmatisieren und ihr pauschal Rassismus vorwerfen, bedaure ich das. Das war nie meine Absicht. Es tut mir leid, dass meine Äußerungen durch Verkürzung in eine Schieflage geraten sind. Ich hätte abwarten sollen, bis weitere Informationen vorliegen. Das muss ich mir eingestehen.“
Leider gilt dieser Makel heute auch für die Kommentar-Kultur, für die Welterklärer und die Terror-Experten (Wen beraten die eigentlich, wenn sie nicht im Fernsehen dampfplaudern?).
Von der Spezies erwartet ein jeder, ohne dass ausreichend Fakten vorliegen, dass sie uns aus dem Stand erklärt, warum Tragödien nicht hätten anders kommen können. Es werden Hintergründe und Abgründe aufgetan. Und mit genauso fester Stimme und Schreibe erklären die gleichen Kommentatoren später, jetzt im Besitz der Wahrheit, von der zwingenden Logik, warum es natürlich hätte doch ganz anders kommen können, frei nach dem Motto: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.
Die Tragik ist die Vermutung, dass es heute tatsächlich ums Schwatzen geht, nicht um Gehalt, ums Füllen von Sendeminuten, und wenn schon um Haltung, dann bitte um eine biegsame.
Lüneburg, 6. Januar Hans-Herbert Jenckel