Das könnte ein heißer Herbst für die Verkehrswende in Lüneburg werden, der Anfang ist gemacht

Dieses Piktogramm sorgt für Unruhe.

Lüneburg, 18. September

Das Ende ist nah. Auf dem Marienplatz im Herzen der Stadt fallen vier Parkplätze für Autos weg, weil dort Platz für Lastenräder geschaffen wird. Die vier Parkplätze weniger verursachen in Kommentarspalten auf Facebook schon ein bisserl Untergangsstimmung, weil nur der Autofahrer, der Mitten in Lüneburg parken kann, die Händler in der Innenstadt vor Amazon rettet.

Wenn jetzt bei vier Parkplätzen weniger schon Zeter und Mordio geschrien wird, mag ich gar nicht daran denken, dass Lüneburg einen Radring um die City bekommen soll.

Wer jetzt auf die Idee kommt, auf das hundert Meter vom Marienplatz gelegene Parkhaus Rathaus zu verweisen oder das an der Neuen Sülze oder auf den Parkplatz Sülzwiesen, das Parkhaus am Kurzentrum, am Klinikum oder den Parkplatz am Theater, ans Parkhaus Stadtmitte oder Karstadt, Bahnhof oder Lünepark, an den Parkplatz Bezirksregierung, der argumentiert in den Augen der Kritiker polemisch. Zusammen sind das 4489 gelistete Parkplätzen. Und auf der offiziellen Seite führt die Hansestadt den Marienplatz überhaupt nicht. Schließlich ist der auch fast nur über Holperpflaster an der Stadtmauer erreichbar, eine Art Schleichtweg. Hunderte von Parkplätzen an den Straßen der Innenstadt sind gar nicht mitgezählt.

Haben die Kassandra-Kommentatoren, die meinen, vier Parkplätze seien ein Angriff auf den Handel, ja die Schlüsselindustrie Auto schlechthin, schon einmal darüber nachgedacht, dass Lüneburg rasant wächst und damit der Verkehr. Und der Speckgürtel um die Hansestadt in Vögelsen, Reppenstedt, Bardowick, Melbeck, Deutsch Evern, Adendorf wird dick und dicker. Wo sollen die alle fahren und parken? Kaufen diese Neubürger, für die ja nach der Facebook-Logik gar keine Parkplätze vorgehalten werden können, jetzt auch alle bei Amazon? Sind die deswegen nach Lüneubrg gezogen – aus Hamburg?

Der Lüneburger Rat hat 1991 einen wegweisenden Verkehrsentwicklungsplan verabschiedet: Autos in der Innenstadt sollten tabu sein, die Lüneburger mehr Rad fahren. 1991. Rund um den Stadtkern wurden Parkplätze geschaffen, um die Autofahrer zu beschwichtigen. Und dass der Platz Am Sande, der schönste Busbahnhof Norddeutschlands, autofrei sei, ist auch mehr ein Wunsch geblieben. Für die Radfahrer, im Verkehrsplan so sehr hofiert, ist in den letzten dreißig Jahren vergleichsweise jämmerlich wenig getan worden, außer dass seit geraumer Zeit alle von der Verkehrswende reden. Aber wohl nur nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Das reicht allerdings nicht, um den Verkehrsinfarkt zu entkommen. Umsteigen, wann immer es geht, ist ohne Alternative.

Dass die Weltmetropole Paris die Autos aus der Innenstadt verbannt, dass Hamburg die City für Velo-Routen für horrendes Geld umbaut, dass in einer Landeshauptstadt wie Kiel Rad-Routen, breit wie Highways, bis ins Herz der Stadt führen und trotzdem zusätzlich alle zwei, dreihundert Meter Schilder stehen, die Autofahrer darauf hinweisen, dass Radfahrer auch auf der Straße fahren dürfen, sollte denen zu denken geben, die das Auto immer noch als Allheilmittel sehen. In Lüneburg bin ich drei Tage hintereinander auf der Straße Bei Mönchsgarten angehupt und einmal angeschrien worden, ich solle bloß auf dem Fußweg fahren und die Autos nicht stören.

Es ist schon viel gewonnen, wenn wir vorher darüber nachdenken, ob wir jetzt wirklich ins Auto steigen müssen oder doch das Rad oder den Bus nehmen, wenn wir auf den Ausflug mit unserem Cabrio mal verzichten und aufs Rad steigen, wenn der Landrover in der Garage bleibt, weil in der Stadt so wenig Hügel und Kuhlen zu überwinden sind. Das widerstrebt natürlich dem Gedanken von freie Fahrt für freie Bürger. Aber es wäre ein lohnender Anfang gegen den Verkehrsinfarkt, es wäre ein lohnender Anfang, um die täglichen Scharmützel zwischen Radlern und Autofahrern zu entschärfen, es wäre ein lohnender Anfang fürs Stadtklima, lohnender als das Gezeter um vier Parkplätze.

Hans-Herbert Jenckel

PS: Unter dem Motto: „Mehr Platz für’s Rad in Lüneburg“ wird am Sonnabend, 19. September, 11.30 Uhr nach Sternfahrten im Clamartpark demonstriert.

Über jj

Journalist, Dipl.-Kaufmann, Moderator, Lünebug- und Elbtalaue-Liebhaber
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12 Antworten zu Das könnte ein heißer Herbst für die Verkehrswende in Lüneburg werden, der Anfang ist gemacht

  1. Klaus Bruns schreibt:

    tja herr jenckel, sie wollen, das mehr rad gefahren wird. die polizei in hamburg gab hehlern von ca 1500 gestohlenen fahrrädern 1450 den verurteilten hehlern wieder zurück. und warum? weil nur 50 ihr fahrrad wiederhaben wollten. die verkehrswende bleibt wohl im autoland deutschland aus, oder? schließlich geht es um arbeitsplätze und bequemlichkeit. was soll da gegen ein elektromobil sprechen? es braucht mehr platz , als ein fahrrad? och, ein smart mit verbrennungsmotor, braucht jetzt schon nicht mehr platz , als ein lastenfahrrad beim parken, oder?

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  2. Klaus Bruns schreibt:

    Das könnte ein heißer Herbst für die Verkehrswende in Lüneburg werden, der Anfang ist gemacht
    lol
    ein piktogramm soll dafür sorgen? journalist muss man wohl sein, um das zu glauben. selbst auf behindertenparkplätze, die mit piktogramme ausgezeichnet sind, wird wild geparkt. mutter mit kind, ist auch so ein scherz und diskriminierend. was macht der vater mit kind?

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  3. Klaus Bruns schreibt:

    445 tote radfahrer im jahr. dreimal höhere unfallzahlen für radfahrer, als für autofahrer.

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    • Rudi Radlos schreibt:

      Liegt das an den Rad- oder an den Autofahrern?

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    • Werner Schultz schreibt:

      Uh Herr Bruns, ist es in Reppenstedt wieder langweilig? Fahren Sie doch mal über Land, am Besten mit einem 5-Liter V8, das beruhigt vielleicht. Aber bitte keine Radfahrer plattfahren, auch wenn die Ihnen den (Über-)Lebensraum nehmen wollen.

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  4. Peter Luths schreibt:

    Muss man rund 10 m³ Raum und etwa 1.200 kg Metall und Kunststoff bewegen, um 600 m entfernt vier Brötchen für vielleicht 3,00 € zu kaufen? Muss man 20.000,00 € oder 30.000,00 € oder noch mehr für ein eigenes Automobil ausgeben, das dann weit mehr als 90 % der Zeit ungenutzt herumsteht? Was, wenn der Betrag in Taxi, Bus, Bahn, Carsharing etc. und in ein gutes Rad investiert wird?

    Wenige müssen, viele wollen.

    Vielleicht wollen sie ja auch etwas anderes, wenn es ähnlich praktisch, wirtschaftlich attraktiv und umweltfreundlich ist. Anreize sind gefragt! Wie der Stellplatz für Lastenfahrräder am Lambertiplatz.

    Medialer Aufruhr wegen des Wegfalls von vier Kfz-Parkplätzen? Nicht zu fassen …

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    • Gertrud Hölscher schreibt:

      Zum politischen Modus gehört die Wutrede, lieber Peter, sie ist so unvermeidlich wie das Husten in klassischen Konzerten zwischen den Sätzen. Aber viel wäre gewonnen, wenn wir unsere Wutreden im Bewusstsein hielten, dass es sich dabei auch um Rollenprosa handelt. Als stünde ein zweites Ich, während man noch schimpft, neben einem und sagte: «Guck ihn dir an, wie der auf die Pauke haut!»

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    • Inge Goldmann schreibt:

      „Medialer Aufruhr wegen des Wegfalls von vier Kfz-Parkplätzen? Nicht zu fassen.“

      Wirklich?

      Sind nicht auch kleine Meinungen echte Meinungen? Und kleine Gewohnheiten, sind das vielleicht keine Gewohnheiten?

      Sind die meisten Menschen in ihren nicht mehr zu Hause als irgendwo sonst?

      Muss es immer um grelles politisches Versagen, um unfähige Verwaltungsleiter und hundert Millionen Euro-Skandale gehen, um herauszufinden, dass Dickfelligkeiten ihren Eigentümern Weltbildstolz, Behaglichkeit und Wärme spenden?

      Ich habe einen Bekannten, von dem ich gerne prahlerisch sage (denn es zeichnet einen ja selber aus, die Intelligenz eines anderen anzuerkennen), er sei der intelligenteste Mensch, dem ich je begegnet bin. Wenn wir uns unterhalten, bin ich von dem, was er sagt, häufig regelrecht geblendet, ja aus dem Häuschen, welche Gedankenverbindung er schon wieder aufgemacht hat. Er ist Staatsrechtler, er beschäftigt sich also viel mit politischen Fragen. Politische Fragen sind solche, zu denen jeder eine Meinung haben darf. Und an dieser Stelle taucht für mich jedes Mal ein Problem auf, von dem ich glaube, dass es charakteristisch für das Wesen der Politik ist: Wenn Politik das ist, wozu jeder eine Meinung haben sollte, dann kann es nicht sein, dass der Intelligentere gewinnt. Es kann nicht sein, dass ich meinem Reflex nachgebe und mich der Sichtweise meines Bekannten füge, nur weil ich weiß, dass er wie ein Jongleur mehr gedankliche Bälle gleichzeitig in der Luft halten kann als ich.

      Und wie verhalte ich mich konkret? Beim Lunch höre ich mir schwer beeindruckt seine Thesen an, auf dem Heimweg ist mir nun klar, dass meine alte Position nicht zu halten ist, mein Bekannter hat mich überzeugt, ich strecke die Waffen und sehe die Verhältnisse in diesem Punkt nun doch mehr so wie er. Es ist der sprichwörtliche Abschied von lieb gewordenen Wahrheiten. Aber tatsächlich wurde ich in diesem Moment nur gerade frisch eingenordet. Je mehr ich mich zeitlich und räumlich von meinem Bekannten entferne, desto schwächer wird sein Einfluss, meine eigenen Präferenzen, seiner Einflusszone entzogen, melden sich zurück – und nach ein paar Tagen bin ich wieder der Alte. Und manchmal kommt dann sogar der Punkt, an dem ich sage: «Ich komme gegen seine Argumente zwar nicht an, aber seine Position entspricht mir einfach nicht.» Und interessanterweise komme ich mir dabei keineswegs wie ein irrationaler Fanatiker vor, sondern denke mir: Politik hat mit Präferenzen zu tun, die nie vollständig argumentativ aufzuklären sind.

      Als ich ein junger Berufsanfänger war, sagte mir ein von mir verehrter älterer Kollege, er sei meistens der Meinung, die er zuletzt gehört habe. Beeindruckt, dass man das einfach zugeben konnte, wollte ich es ihm nachtun und stellte fest: Ja, man fühlt sich dann gleich viel freier.

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  5. Klaus Bruns schreibt:

    herr jenckel, schon mal darüber nachgedacht, dass die gesellschaft immer älter wird und deren mobilität automatisch nachlässt? so ein 80 jähriger auf dem fahrrad wackelt schon manchmal sehr gewaltig. unsichere radfahrer gibt es auch bei jüngeren. wollen sie ein fahrradführerschein einführen, oder sich lieber auf das glück und die einsicht verlassen?

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    • jrnpetersen schreibt:

      Ja hallo erstmal Herr Bruns! Hatten sie nicht jüngst hier erst ihren endgültigen Abschied aus diesem Kommentarbereich verkündet? Aber gut zu wissen: you’re alive again. Ganz ehrlich. Ich würde Sie irgendwie sonst auch fast vermissen.
      Bei dem ersten Satz ihres aktuellen Beitrages habe ich zuerst gedacht Sie hätten Kreide gegessen. Aber ihr Gedankengang ist völlig richtig. Ich hoffe dass diese Menschen auch dann nicht undifferenziert pauschal als Autofahrer mit verteufelt werden. Aber leider neigen Aktivisten extrem dazu.

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      • Jürgen Hesse schreibt:

        wie ist es denn, wenn so ein 80 jähriger auf seiner harley cvo oder hinter dem steuer seines Hummer H2 schon manchmal sehr gewaltig wackelt? unsichere suv- und tri glide-fahrer gibt es auch bei älteren.

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