Eigentum verpflichtet – auch beim maroden Gradierwerk

Lüneburg, 25. Oktober 2022

Das Holzgerippe des Gradierwerks im Kurpark. (Foto: jj)

Das dickste Avacon-Aktien-Paket mit prächtigen Millionen-Dividenden lagert in Lüneburg ohne Frage in der Kurmittel GmbH. Das hat gute Gründe. Und ein Grund ist das Gradierwerk. Das wurde nur leider vernachlässigt.

Mit dem Gradierwerk im Kurpark, eines der letzten Lebenszeichen der verblühten Lüneburger Kurbad-Herrlichkeit, ist es ein Trauerspiel. Es ist nur noch ein Holzgerippe, das womöglich auch noch teils morsch ist. Und es wird lange dauern, bis es hoffentlich saniert wird. Soweit hätte es nicht kommen müssen. 

Dazu schauen wir zurück: Das Kurzentrum fuhr früher stattliche Verluste ein. Seit aber im letzten Jahrhundert die Avacon-Aktien (früher Hastra) bei der Kurmittel GmbH deponiert und auch noch kräftig aufgestockt wurden, glich die millionenschwere Dividende die Verluste aus. Aus dem realen Minus wurde so in manchen Jahren in der Bilanz ein Plus. Und weil das so war, übernahm die Kurmittel GmbH zur Jahrtausendwende von der Stadt auch das Gradierwerk im Kurpark für einen symbolischen Betrag.

Geld ist in Lüneburg immer eine Mangelware gewesen

Jeder hat gewusst: Der Schwarzdorn auf dem Holzgerippe, über den das Salzwasser rieselt und die feine Salzhaltige Luft versprüht, hält nicht ewig, sowenig wie das Holz. Am Zug war nach dem Aktien-Deal aber die Kurmittel GmbH. Und die lieferte und zahlte: 2001 kostete die Kernsanierung des Gradierwerks schon ein Vermögen, laut LZ mehr als 400.000 Euro. Die Arbeit war nach fünf Monaten erledigt. 

Spät dran

Und heute? Heute wird gezaudert und abgewartet. Der Zusand hält schon über ein Jahr an. Und wenn nicht schon Schwarzdorn aus dem Holzgerippe gebrochen wäre, hätte man wahrscheinlich noch länger weggeschaut. Allein die Beschaffung der Tausende Bündel scharfkantigen Schwarzdorns scheint eine Titanen-Aufgabe. Nun soll Expertenrat eingeholt werden. Jetzt. Eigentlich fehlt nur noch der Arbeitskreis „Schwarzdorn“ oder so.

Da waren die Verantwortlich um die Jahrtausendwende mehr auf Zack. Da wurden Fördermittel eingeworben, Bund und Land übernahmen mehr als ein Drittel der Kosten. In der LZ war dazu zu lesen: „Den Batzen Geld für die Stadt an Land gezogen hat Gerhard Voigts, stellvertretender Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Lüneburg. Der hatte nämlich festgestellt, dass es im Rahmen der Förderung touristischer Infrastruktur von Bund und Land Mittel speziell für Gradierwerke gibt. Gemeinsam mit Hild (*damals Geschäftsführer Kurmittel GmbH) stellte er den Antrag. Das Geld ist inzwischen nicht nur zugesagt, sondern zum Teil auch ausgezahlt worden.“

Und ja, auch die Kurmittel GmbH gerät angesichts solcher Krisen wie Corona, Krieg und Inflation in schweres Fahrwasser. Da gibt es jetzt Wichtigeres als ein altes Gradierwerk.

Aber mir scheint auch, bei der millionenschweren Investition und langwierigen Erneuerung des Spaßbades in den letzten Jahren hat die Kurmittel GmbH das Gradierwerk einfach aus den Augen verloren. Oder weggesehen? Da musste erst der Schwarzdorn aus der Wandung brechen, damit auch der Letzte sehen konnte, die Zeit für eine Sanierung ist längst reif. 

Jetzt ist der Schwarzdorn schwer zu beschaffen, die Handwerker auch, das Holz ist teuer und die Kassen sind leer. Kurzum: Chance verpasst. Auch das ändert nichts an der Tatsache: Eigentum verpflichtet. Und das Gerippe des Gradierwerks ist dazu eine anschauliche Mahnung.

Hans-Herbert Jenckel

Anmerkung: Die Avacon-Dividende, das sei kurz angemerkt, diente in Lüneburg schon immer als Allzweckwaffe und weckte viele Träume. Mal sollten die Aktien verkauft werden, um die Schulden der Stadt zu tilgen, dann wieder war die Dividende nötig, um Investitionen im Klinikum zu unterstützen oder die Marketing GmbH.

Über jj

Journalist, Dipl.-Kaufmann, Moderator, Lünebug- und Elbtalaue-Liebhaber
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10 Antworten zu Eigentum verpflichtet – auch beim maroden Gradierwerk

  1. Thomas Buller schreibt:

    Es gibt aktuell sehr viele Baustellen in der Stadt , die in der Schwebe sind (Salzmuseum, Wienebütteler Weg,Umsetzung des Radentscheids, Bürgerbeteiligung,Marienplatz etc..).Nur tut sich sichtbar sehr wenig und die Gründe dafür werden kaum bis gar nicht transparent gemacht. Und über allem schwebt ein immer grösseers Haushaltsdefizit.
    Das einzige was sich in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt hat, ist die Zahl der städtischen Mitarbeiter. Nun sollte man ja glauben,dass dadurch Einiges schneller ginge, aber es scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein.

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    • Ulf Reinhardt schreibt:

      Kleine Korrektur: Der Wienebüttel Weg Ist ja gerade deswegen keine Baustelle, weil dort in der aktuellen Kostensituation eben kaum noch jemand bauen kann und wird. Zudem läuft ein Normenkontrollverfahren mit völlig offenem Ausgang. Dass der Stadtrat dennoch so mutig war, eine Erschließung für 18 Millionen € zu beschließen, zeigt einen völligen Realitätsverlust sowie eine nicht zu überbietende Gleichgültigkeit im Umgang mit Steuergeldern.

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      • Thomas Buller schreibt:

        Sehr geehrter Herr Reinhard,
        spätestens seit der Corona Pandemie sind Normenkontrollverfahren schwer in Mode, daher sind die Gerichte mittlerweile erheblich überlastet und die Bearbeitungszeiten ziehen sich in die Länge.
        Ungünstig für diejenigen, die Wohnraum suchen und deren Finanzierungen sich mittlerweile in Luft auflösen.
        Wie auch immer ,hier findet seitens der Stadt keine transparente Kommunikation statt .
        Und mal weiter gedacht, Frau Kalisch möchte das Klinikum zum Maximalversorger ausbauen, wie aktuell zu lesen ist ,dafür müssten die Bettenzahlen auf ca. 800 Betten erhöht werden . Selbst die aktuellen 500 Betten können aber wg. Personalmangel nicht betrieben werden .
        Woher sollen die zusätzlichen Pflegekräfte kommen und wo sollen diese ,selbst wenn es sie gäbe ,wohnen von ihrem Gehalt ?
        Ich bleibe dabei , die Stadt geht ihre strukturellen Probleme nicht an und formuliert stattdessen Ideen ohne auch nur ansatzweise zu sagen , wie diese umgesetzt werden sollen.
        Daher steht auch das Gradierwerk sinnbildlich für den Mangel der Stadt ,Entscheidungen zu treffen, diese umzusetzen und transparent zu kommunizieren.
        Anspruch und Wirklichkeit sind weit auseinander.

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      • jj schreibt:

        Nach einem kurzen Gespräch mit einer Ärztin am Freitag gebe ich Ihnen recht. Es fehlt schlicht und einfach jetzt schon Personal, um die aktuelle Bettenzahl zu wuppen.

        Mehr Betten ohne erheblich mehr Personal geht gar nicht. lg jj

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    • Erwin Habisch schreibt:

      Das Gradierwerk war schon mehrere Jahre marode. Die Schwarzdornfüllung hält bei Gradierwerken üblicherweise 10-15 Jahre.
      Siehe u.a. hier: https://www.bad-kreuznach.de/politik-und-verwaltung/archiv-pressemitteilungen/jahresarchiv-2018/februar-2018/dornenwand-wird-erneuert-sanierungsarbeiten-am-laengsten-gradierwerk/
      Spätestens 2015 hätte man also in Lüneburg dran denken müssen, in die Hufe zu kommen.
      Da gab es eine ausreichende Avacon-Dividende.

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  2. KURPARK UND GRADIERWERK
    Das imposante, über 260 Jahre alte Gradierwerk bildet das Herzstück des Kurparks mit seinen weit angelegten Rasenflächen und den Blumenrabatten. In ganz Deutschland gibt es nur noch 30 dieser mächtigen Bauwerke – eins davon steht in Lüneburg oder stand?

    In der Umgebung der Lüneburger Salinen ist die Luft mit Salz angereichert und durchaus mit der Nordseeluft vergleichbar. Das Einatmen der salzhaltigen Luft wirkt sich positiv auf die oberen Atemwege aus. Besonders Pollenallergiker und Asthmatiker schätzen den postiven Effekt eines Aufenhaltes an den Gradierwerken. Die Gradierwerke werden von Mitte April bis Ende Oktober betrieben.

    Ursprünglich dienten die Bauwerke der Salzgewinnung. Die unter Lüneburg liegende ca. 7 %ige Sole wurde gefördert und bis zu neun Mal über die Dornenwände geleitet. Durch die natürliche Verdunstung erhöhte sich die Konzentration des Salzes auf bis zu etwa 30 %. Das Endprodukt Salz erzielten die Salzpfänner dann durch das Kochen der gesättigten Sole in riesigen Salzpfannen.

    Ein gemütlicher Spaziergang durch den Kurpark öffnet den Blick für die Schönheiten der Natur. Im Wandel der Jahreszeiten zeigt sich der Kurpark zwischen SaLü, Therapiezentrum und Solebad immer wieder neu. Gleich bleibt zu jeder Zeit die Entspannung und Erholung.

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  3. Ulf Reinhardt schreibt:

    Es ist schon mehr als erstaunlich, dass in einer gut organisierten (?) Tochtergesellschaft der Hansestadt Lüneburg mit professioneller Geschäftsführung plus 16 Augen des reichlich mit Hobbypolitikern besetzten Aufsichtsrates solch schicksalhafte Ereignisse immer so plötzlich kommen.

    Jedes wirklich privatwirtschaftliche Unternehmen wird mit so einer Planung schnell Insolvenz anmelden müssen.

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    • Andreas Janowitz schreibt:

      Oh Bitte! Eine Unternehmung in privater Hand hätte diese morsche Ruine für den 10 fachen Neubauwert an eine Tochterfirma „verkauft“, diesen Buchwert als Sicherheit für einen Kredit in irgendeiner abschmierenden Ramschwährung (wie die türkische Lira) herrangezogen, diese Einnahmen dann (selbstredent steuerfrei) über verschachtelte Ketten von Briefkastengesellschaften wieder der orginären Unternehmung zugeführt und oberndrauf noch Subventionen für die Renovierung abgegriffen.
      Nichtmal ein besonders findiges Szenario.

      „Privatwirtschaftliche Unternehmen“ geniessen gewisse „Freiheiten“, mit denen so ein piefiger öffentlich rechtlicher Laden schlicht nicht konkurieren kann.

      Ganz egal wie sehr die Führungsriege dem Kaffee-Mariacron am Morgen zugetan ist (ansonsten käme man auch nicht auf so glohreiche Ideen, wie die der LKH-Arena)…

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    • Rudi Radlos schreibt:

      „Schicksal oder Los, im Islam Kismet, ist der Ablauf von Ereignissen im Leben des Menschen, die als von höheren Mächten vorherbestimmt oder als von Zufällen bewirkt empfunden – oder behauptet – werden, mithin also der Entscheidungsfreiheit des Menschen angeblich entzogen sein sollen.“ – Wikipedia

      „Die Avacon AG ist ein regionales Energieversorgungsunternehmen mit Sitz in Helmstedt/Niedersachsen.“ – Wikipedia

      Sind die Schicksale von Energieversorgungsunternehmen denn nicht an die Schicksale der von ihnen ausgesuchten Energielieferanten gebunden? Und richtet sich somit die Höhe (oder die Tiefe) des „auszuschüttenden Betrages“ gemäß § 174 Abs. 2 Nr. 2 Aktiengesetz nicht ebenfalls nach dieser Melodie?

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