15. Dezember 2015
Die Welt ist ein grausamer Ort, und die Erinnerung ans Paradies nur ein Placebo. Kriege und Fehden, Blut und Tränen seit Tausenden von Jahren, das ist unsere Chronik, diktiert vom Sterben im Glauben nach mehr. Und erst wenn wir uns und unsere Welt fast ganz verheert haben, werden wir erkennen, dass wir selber die Aliens sind, vor denen wir uns in den Science-Fiction-Blockbustern so fürchten. Galaktische Heuschrecken.
Heute fragt der Kommentator Jacques Schuster in der „Welt“ zu recht, warum Tausende gegen Chlorhühner und Freihandelsabkommen auf die Straße gehen, aber das Morden in Aleppo nicht zu Massenprotesten führt.
Er kann sich in seinem Wortschwall gerade noch dazu durchringen allen, also auch ein bisschen dem Westen, die Schuld an dem Fall von Aleppo zu geben, bis er dann wortkreativ zu einem Social-Media-Bashing ansetzt. Der Kreuzzug eines Guten.
Ein Gralshüter der transatlantischen Freundschaft. Denn er warnt auch vor der Russlandbewunderung der Deutschen, lässt aber außer Acht, wie die USA Verbündete „postfaktisch“ in den Irak-Krieg getrieben und getäuscht haben und selber zur Entfremdung beitragen. Was macht eigentlich die Achse des Bösen?
Herr Schuster lässt außer Acht, dass die Menschen der Kriege müde sind, mit deren Abgründen sie tagtäglich visuell gefoltert werden, er lässt außer Acht, welche Mitschuld die Medien daran tragen, er lässt außer Acht, dass gerade der Krieg in Syrien in Deutschland auch ganz andere Ängste weckt, die vor Flüchtlingen, er lässt außer Acht, welche Katastrophen sich zum Beispiel am Tschad-See in Nigeria, Niger, Tschad und Kamerun abspielen, wo 9,2 Millionen Menschen auf der Flucht sein sollen. Kurz um, er lässt außer Acht, in welchem Stadium der Verrohung wir leben, er ignoriert einfach die Inflation von Gräueln, die der Kreatur Tag für Tag ins Gehirn gepumpt werden, und fragt sich nicht, warum irgendwann da oben der Notstromschalter umspringt und die Deutschen sich vor Chlorhühnchen mehr fürchten als vor Krieg, der im allgemein aufkeimenden Neo-Nationalismus immer näher rückt. Das ist doch irrational! Ja, aber auch zutiefst menschlich.
Hans-Herbert Jenckel