Der deutsche Regelverstoß: Das muss kein Widerspruch sein

Lüneburg, 5. Mai

Deutschland ist nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch der Regelwut. Gesetze, Erlasse, Verordnungen  und Verfügungen gehören zur DNA des Deutschen. Er neigt dazu , alles und jedes zu reglementieren. Manchmal auch nur, um dann zu schauen, wie er die Regeln umgehen kann. Gutes Beispiel: 30-Kilometer-Zonen. Wenn die Forderung erst für eine Straße erfüllt ist, atmen die Anwohner kurz auf. Aber es dauert nicht lange, bis ein Tempo-Messgerät gefordert wird, weil so oft gegen die Regel verstoßen wird. Ob in Adendorf oder Oedeme oder Häcklingen oder Rettmer. Als nächste Stufte der Eskalation kommt der Ruf nach mehr Polizeipräsenz.

Ich lebe auch in einer 30-Kilometer-Zone, dazu noch in einer Sackgasse. Und ich kann aus meiner persönlichen Statistik berichten, dass vor allem Ortskundige gegen das 30er-Gebot verstoßen. Das ist auch verständlich. Ortskundige kennen im Gegensatz zu Ortsfremden die Gefahren in ihrem Quartier. Sie besitzen eine innere Gesetzgebung, die weitaus flexibler und dehnbarer ist. Sie interpretieren das 30km/h-Schild als eines nur für Nicht-Anlieger.

Und wie oft schon habe ich mich über diese Zwei- und Vierrad-Rüpel geärgert, die bei Rot noch schnell über die Ampel-Kreuzung huschen. Das ist regelrecht zum Sport geworden. Widerwärtig.

Ich bin ein gesetzestreuer Bürger. Gut, ich habe mich schon dabei erwischt, wie ich, natürlich nur wenn keiner zuschaut, über eine rote Ampel geradelt bin. Aber ich habe ganz pflichtbewusst nach links und rechts geschaut. Hinterher habe ich mich trotzdem noch für einen gesetzestreuen Bürger gehalten. Ja, nur deswegen habe ich mir diesen Regelverstoß in diesem Einzelfall überhaupt rausgenommen.

Ich weiß, klingt ein bisschen widersprüchlich. Aber irgenwie typisch deutsch.

Hans-Herbert Jenckel

Über jj

Journalist, Dipl.-Kaufmann, Moderator, Lünebug- und Elbtalaue-Liebhaber
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6 Antworten zu Der deutsche Regelverstoß: Das muss kein Widerspruch sein

  1. Felix Staake schreibt:

    Christian, Sie stammen aus Rettmer, heißen Denker und haben ein Buch mit dem Titel »Vom Geist des Bauches. Für eine Philosophie der Verdauung« geschrieben, über das Sie bald in der Vortragsreihe »Denken geht durch den Magen« referieren werden. Stimmt´s ? (http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3071-8/vom-geist-des-bauches) Da Magenmumien wie Sie es sind, die Kulturwissenschaft in jedes noch so verborgene Feld menschlicher Aktivität führen, möchten ich Ihnen einige Vorschläge für Folge-Monographien machen: »Jenseits jeder Sollbruchstelle. Anarchische Spuren von Alltagsdiskursen in Haushaltsgeräten«; »Morphologie des Ohrensessels. Echo ohne Klang?«; oder: »›I’d rather be the ice cream myself.‹ Zur herrschaftsfreien Kritik der Eiswaffel als phallisches Organon eines gefrorenen Gestus«.
    Viermägig grüßend: Felix

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  2. Christian schreibt:

    Lieber Herr Bruns, lieber Herr Jenckel,

    könnte es nicht auch sein, dass man mit der einen Ansicht eines Menschen konform geht und ihren vielen gut vorgetragenen Gründen beipflichtet, aber mit einer anderen, die weniger durchdacht ist oder sich stärker privaten Loyalitäten und Vorlieben verdankt, eben nicht? Gibt es nicht sogar in der Kommunalpolitik wechselnde Mehrheiten? Auch Helmut Schmidt, Michèl Pauly und Niels Webersinn mussten diese Erfahrung schon machen. Einige von denen sogar innerhalb ihrer eigenen Gefolgschaft. Anbetung war beim Mitmach-Blog meines Wissens keine Bedingung fürs Eingelassenwerden. Ein Agon war schon in der griechischen Antike ein sportlicher oder musischer (nicht unbedingt musikalischer) Wettstreit. Agonistik ist die zum Zweck des Wettkampfs getriebene Leibes- und Kopf-Gymnastik. Für Friedrich Nietzsche und Jacob Burckhardt stellte es das Grundprinzip der griechischen Kultur dar: Der Einzelne kann seine Fähigkeiten im geordneten Wettkampf erweitern und verbessern, wobei er gleichzeitig der Gemeinde nützlich ist. Darum bitte keine selbstmitleidigen Tränen! Zur Sache, Schätzchen!

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    • Klaus Bruns schreibt:

      Lieber Christian, da ich hier nur für mich sprechen kann, von selbstmitleid kann keine rede sein. ich habe nur für mich etwas in frage gestellt, herr jenckel hat geantwortet. Zitat:Die Demokratie lebt von Meinungsverschiedenheiten.
      genau meine meinung. deswegen halte ich zum beispiel nichts von einer großen koalition. zur sache? wie ehrlich ist denn der mensch? wir haben eine vorschriftenflut als daseinsberechtigung für die verwaltung. viele menschen haben davon schlicht die nase voll und suchen sich ihre umleitungen. überflüssige vorschriften sollen ausgerechnet von einem ehemaligen bayerischen mp abgebaut werden. da es immer mehr überflüssige vorschriften gibt, als abgebaut werden, wird sich unsere angebliche freiheit bald in luft auflösen. und da der mensch aber atmen muss, schafft er sich luft.

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  3. Klaus Bruns schreibt:

    hallo herr jenckel, ich nehme an, ihnen ist es auch schon aufgefallen, dass der ton hier, ihnen gegenüber, sich langsam verändert. am anfang hat man sie angebetet, jetzt werden sie kritisiert und was kommt dann wohl? es gibt hier einige user ,die der meinung sind, ihre selbstkritik lässt leider etwas zu wünschen übrig. da wir uns schon länger kennen, werde ich mich da bei diesem,,urteil,, enthalten. hier scheint man teilweise immer noch nicht begriffen zu haben, dass es ein meinungsforum ist. meine meinung ist, seine eigene meinung sollte man ernst nehmen und wenn sie parteiisch ist, ist das eben so. den rat von herrn thoma ist nichts hinzuzufügen.

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    • jj schreibt:

      Die Demokratie lebt von Meinungsverschiedenheiten, hinter der Verehrung verbirgt sich immer schon der Absturz. Allein schon deswegen werden so viele Sternchen in Show und Politik hochgejazzt, dann hat man immer noch was für den Skandal. Lg

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  4. Klaus Bruns schreibt:

    Als bekannte Medienpersönlichkeit habe Thoma stets vor flachem Journalismus und berufsbedingter Eitelkeit gewarnt. „Dass man über ein Mikrofon oder eine Kamera verfügt, macht das, was man sagt, nicht wichtiger als das, was unsere Hörer zu sagen haben“, zitiert der WDR einen seiner Ratschläge an Journalisten. Auch das werde von ihm bleiben, hieß es in der Mitteilung des WDR weiter.
    wo er recht hat, hat er recht. und was das fehlverhalten von sogenannten gesetzestreuen bürgern betrifft, kann man bei der steuerhinterziehung und im strassenverkehr sehen. wer nicht dabei erwischt wird, spielt gern den unbescholtenen bürger.

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