
Susanne Schumacher leidet auch Monate nach der Infektion, sie gehört zu den Long-Covid-Fällen.
Das Virus hat sie voll aus der Lebensbahn geworfen. Susanne Schumacher gehört zu den Long-Covid-Fällen, die noch Monate nach der Virusinfektion mit schweren Folgen kämpfen. Vor mehr als vier Monaten berichtete sie im Blog, wie sie erkrankte. Jetzt erzählt sie vom langen Weg zurück in ihr altes Leben.
Es gibt wahrlich Schöneres, als über Post-Covid zu berichten, vor allem, wenn man mittendrin steckt. Lieber würde ich Ihnen eine mega-fitte, hochattraktive Version meiner selbst präsentieren, samt Instagram-tauglichem Porträtbild.
Stattdessen gleiche ich zurzeit einer flügellahmen Ente und bin froh, wenn ich in manchen Momenten des Tages nicht völlig zerschlagen in die Kamera schaue. Diesen Text hier zu schreiben, kostet mich etliche Tage, bedeutet eine erhebliche Konzentrations-Anstrengung für mein matschiges Hirn und erfordert viele Pausen und Korrektur-Durchgänge. Seit Ende Februar hangle ich mich durch die Covid19-Stadien und -Versionen „Akut-Infektion“, „Quarantäne“, „Genesung“, „Neuro Covid“, „Long Covid“ und „Post-Covid“.
Mittlerweile weiß ich, dass ich bei weitem nicht die Einzige bin, der das so geht. Rund jede zehnte Infektion, ob leicht oder nicht, endet nach aktuellen medizinischen Studien in Long Covid. Also sollten Sie aus erster Hand erfahren, was Sie ggf. erwartet, und was Ihnen oder Ihren Angehörigen vielleicht helfen kann. Kleine Anekdote am Rande: Ich habe inzwischen gelernt, dass ein Covid19-Verlauf offensichtlich immer dann als „leicht“ gilt, wenn man nicht im Krankenhaus landet – ungeachtet der Schmerzen und der Fülle an Symptomen, die man durchläuft und durchleidet.
Auch ich gelte seit Ende der dreiwöchigen Quarantäne im März offiziell als genesen. Gefühlt bin ich von einer vollständigen Genesung allerdings noch ein gutes Stück weit entfernt.
3 Schritte vor, 1 – 4 zurück
Der Genesungsprozess verläuft bei Post-Covid leider nicht linear. Einen Tag geht es voran, und ich freue mich, dass wieder etwas geht, was vorher nicht möglich war – zum Beispiel ein längerer Spaziergang oder ein Gespräch, das über eine Stunde dauert. Ich jubiliere dann jedes Mal innerlich, dass lästige Symptome verschwunden sind, und schmiede umgehend Pläne, was ich jetzt wieder alles tun werde, wo es mir ja definitiv besser geht.

„Lady“, ein Taiwan Mountain Dog, nennt Susanne Schumacher ihren „Therapie-Hund“, der sie in der harten Zeit begleitet. Der Straßenhund kennt sich damit aus, hatte selber eine schwere Zeit, bis er zu Susanne kam.
Diese Euphorie ist jedoch nur von kurzer Dauer: Oft liege ich schon anderthalb Stunden später wieder auf dem Sofa und habe keine Energie mehr für die einfachsten Tätigkeiten. Ich klöne etwa eine Viertelstunde mit meiner Nachbarin auf dem Hof und schleppe mich anschließend im Schneckentempo meine Treppe hoch, um mich von der geistigen Anstrengung und vom langen Stehen auszuruhen. Ich starte frohgemut zu meiner morgendlichen Hunderunde, fühle mich energiegeladen und agil und freue mich auf meinen Auslauf in der Natur – nur um schon nach 100 Metern wie eine Dampflok vor mich hinzukeuchen, mit dem Gefühl, nur 60 % Sauerstoff in meine Lungen zu bekommen.
Nach drei Minuten denke ich zum ersten Mal, dass ich eigentlich lieber umkehren und ins Bett fallen möchte. Und wenn ich nach 30 – 45 Minuten zurückkehre, hänge ich erst einmal mindestens eine Stunde auf dem Sofa herum, um dort wieder etwas Energie für kleinereHaushaltstätigkeiten zu sammeln. Dabei ist es extrem ernüchternd, dass einem keiner sagen kann, wie lange Post-Covid dauert.
Manchen Betroffenen geht es nach 6 Monaten deutlich besser, andere haben nach 9 Monaten nochmal einen heftigen Einbruch im Genesungsprozess, und andere kämpfen nach 16 Monaten noch mit den Verwüstungen, die die erste Corona-Welle in ihrem Körper und ihrer Seele hinterlassen hat.
Nachdem ich in den ersten drei Monaten ständig dachte: „In 2 bis 3 Wochen bin ich garantiert wieder fit“, peile ich nunmehr an, im Sommer 2022 wieder körperlich und geistig voll auf der Höhe zu sein. Das nimmt mir den Druck, den ich mir selbst zunächst massiv gemacht hatte, und der schlussendlich nicht zur Genesung beitrug.
Wenn es denn schneller geht, bin ich die Erste, die sich enorm darüber freut. Ich habe mir jedenfalls fest vorgenommen, auf keinen Fall zu den 20 % der Betroffenen zu gehören, die dauerhafte Organschäden davontragen. Auch wenn mein Herz zurzeit stolpert, das Atmen mich anstrengt und mein Hirn nicht das tut, was es soll – die Hoffnung stirbt zuletzt. Bei Post-Covidgilt es offenkundig, nicht in Tagen oder Wochen, sondern in Quartalen zu denken. Dann sieht man tatsächlich, dass es unterm Strich doch Fortschritte gibt.
Es geht bergauf…
Fangen wir mit den guten Nachrichten an: Viele Symptome, die ich seit Ende Februar hatte, sind inzwischen verschwunden. Manche von ihnen haben sich deutlich abgeschwächt. Inzwischen sind über 200 Symptome bekannt, die Long- und Post-Covid-Patient*innen quälen. Ich stelle Ihnen mal vor, was ich schon hinter mir lassen konnte und warne Sie vor: Es wird auch unappetitlich. Da sind zunächst die Akut-Erscheinungen der Infektion, wie Fieber, trockener Husten, rasende Schmerzen in allen Gelenken, Muskeln und Organen. Dann die Puddingbeine, mit denen ich wochenlang kaum meine Treppe in den ersten Stock hochkam. Und die Demenz-Erscheinungen, die mich ziemlich erschüttert hatten, weil ich anderthalb Wochen lang nicht einmal mehr meine Spülmaschine anschalten oder meinen Milchkaffee zubereiten konnte.

Ich starte motiviert und schaffe es bis zum Dorfschild. Eine Stunde später hänge ich für eineinhalb Studnen in den Seilen.
Hier scheint die schlimmste Phase zum Glück hinter mir zu liegen, wofür ich sehr dankbar bin. Auch die flächigen Hautausschläge an den Armen und am Halsausschnitt sind nach mehreren Monaten wieder verschwunden, ebenso die windpockenartigen Pusteln an den Armen, die sich krustig-schorfig aufgeworfen hatten. Die begleitenden brennenden Schmerzen, die mich wochenlang kaum einschlafen oder die Berührung durch ein Kleidungsstück ertragen ließen, tauchen zurzeit nur noch ganz sporadisch und in stark abgeschwächter Form auf. Halleluja!
Auch die Entzündungen, die sich über Wochen in schöner Reihenfolge abgewechselt haben, sind aktuell nicht mehr vorhanden: Mein linkes Auge war wochenlang entzündet und eiterte widerlich triefend vor sich hin. Wenn ich aufgewacht bin, waren beide Augen so verklebt, dass ich kaum herausschauen konnte.
Mein Bauchnabel – oh ja! – war entzündet und bildete eitrige Krusten. Das hat er in 50 Jahren noch nicht einmal zuvor getan. Und dank entzündeter Harnwege rannte ich tage- und nächtelang aufs Klo. Das hat den ohnehin gestörten Schlaf nicht gerade verbessert. Einschlaf- und Durchschlafstörungen sind typisch für Long-Covid, wie ich mittlerweile weiß. Und so verzichte ich nun artig ab 15 Uhr auf meinen ohnehin schon dünnen Milchkaffee, pflege möglichst feste Einschlafrituale und liege meistens trotzdem anderthalb Stunden lang wach, bevor ich einschlafen kann, obwohl ich ziemlich müde bin. Dank meines Fitnesstrackers weiß ich zudem, dass ich manchmal weniger als fünf Stunden schlafe, obwohl ich achteinhalb im Bett gelegen habe. Dank einer kinesiologischen Behandlung konnte ich letzte Woche nach über fünf Monaten das erste Mal zwei Nächte in Folge gut durchschlafen und bin nicht völlig zerschlagen aufgewacht. Juhu!
Die Verdauungsbeschwerden – Bauchschmerzen und Durchfall -– haben sich weitgehend verflüchtigt, und auch der Puls, der mehrere Wochen lang schon im Ruhezustand durch die Decke ging, hat sich wieder einigermaßen normalisiert. Mein Fitnesstracker zeigt jetzt wieder Werte im blauen und gelben Bereich an und nicht mehr nur im roten und orangen. Ich kann meine Spaziergänge mit dem Hund ab und zu ein wenig ausweiten und habe es schon einige Male mit dem Fahrrad ein Stück in den Wald an unserem Dorfrand geschafft.Da ich meine persönlichen Batterien seit jeher am besten bei Bewegung in der Natur auftanken kann, sind das echte Highlights für mich. Beim Gehen kann ich mich schon seit einiger Zeit wieder auf die Umgebung konzentrieren und nicht mehr nur darauf, mich irgendwie aufrechtzuhalten und nicht umzufallen.
Dennoch weicht manchmal im Laufe eines Spaziergangs die Kraft aus all meinen Muskeln, so dass ich meine normale Körperspannung nicht mehr halten kann und mein Gang sich merkwürdig „eiernd“ anfühlt wie bei jemandem, der massive Hüftprobleme hat. Die optischen Verzerrungen meiner Umgebung, die mich die Bäume und Gebäude „irgendwie komisch“ haben sehen lassen, sind ebenfalls seit einiger Zeit verschwunden, und meine Umgebung sieht nun wieder normal aus. Vorletzte Woche konnte ich nach einem Arztbesuch in Reppenstedt sogar 20 min lang an der Bushaltestelle sitzen und auf den Bus warten, ohne dass mir schlecht wurde, weil mich die vorbeifahrenden Autos und Fahrräder in ihrer Bewegungsgeschwindigkeit überfordert hätten. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich jemals darüber freuen würde, einfach nur irgendwo eine Weile sitzen zu können. Aber – tataaa – man ist als Post-Covid-Patientin schon über jede noch so kleine Verbesserung seines Zustandes extrem dankbar – und auch über nette Menschen, die an einen denken oder einem tatkräftig weiterhelfen. Ohne die ginge es überhaupt nicht.
Nachbarschaftshilfe
Lieben Dank daher auch auf diesem Wege an meine tollen Nachbarn, meine allerliebsten Freund*innen, meine großartigen Kolleg*innen, meine verständnisvolle Ordensgemeinschaft und meine geduldigen Parteifreund*innen. Sie alle müssen auf mein gewohntes, aktives und geselliges Ich zurzeit verzichten, weil ich weder Ausflüge zu ihnen machen kann noch an irgendwelchen Treffen, Feiern oder Ähnlichem teilnehmen. Von daher ziehen Nachrichten über veränderte Corona-Regelungen mehr oder weniger an mir vorbei, weil ich sowieso nicht mehr als einen kurzen Besuch alle 2 – 3 Tage vertragen und verarbeiten kann.
Doch weiter mit den guten Nachrichten: Ich schmecke mittlerweile schätzungsweise wieder 80 Prozent dessen, was ich zu mir nehme, was den eingeschränkten Alltag wenigstens ein bisschen angenehmer macht. Manchmal rieche ich auch schwach wieder Dinge wie Kaffee, Blumen, frisch gemähtes Gras, Pferdekoppeln oder Getreidefelder– allerdings immer nur kurz und wie ein Hauch, der schnell vorüberweht. Was meinen Geruchssinn angeht, liege ich höchstens bei 20 Prozent der Ausgangsleistung, habe aber zum Glück keine Fehlwahrnehmungen wie ein Freund, den ich angesteckt habe, und der nun an den merkwürdigsten Orten widerlich saure Milch riecht.
Nachdem ich den Frühling 2021 komplett geruchlos erlebt habe, sind das für mich sehr erfreuliche Fortschritte. Selbst über den Geruch unserer Biogasanlage in Kirchgellersen habe ich mich wahnsinnig gefreut, als ich ihn vor rund zwei Monaten zum ersten Mal kurz wahrgenommen habe. Man wird, wie gesagt, bescheiden und demütig mit dieser Erkrankung. Blöd wird es dann, wenn Vergesslichkeit und fehlender Geruchssinn zusammenkommen – wie letzte Woche, als ich meine Kartoffeln im Ofen vergessen hatte, die fast schwarz waren, bis ich sie bemerkt habe, weil ich das Verbrannte ja nicht riechen kann; kurz danach fiel mir dann zum Glück auch mein angeschaltetes Bügeleisen im Nachbarzimmer wieder ein…
Alpträume nehmen ab
Auch die fürchterlich verstörenden Alpträume sind seltener geworden. In den ersten Wochen waren es noch ein bis zwei pro Nacht, die mich quälten und verfolgten; heute sind es vielleicht zwei pro Monat. Zum Vergleich: Vor meiner Covid-Infektion hatte ich schätzungsweise alle 5 – 10 Jahre einen solchen Traum. Mittlerweile kann ich auch wieder den einen oder anderen Zeitungsartikel lesen, ab und zu eine Folge einer Serie anschauen und alle paar Tage einige E-Mails am PC beantworten. All das hatte mein Hirn über viele Wochen hinweg nicht verkraftet. Mir verschwammen dann die Buchstaben vor den Augen und mir wurde übel. In meinem Hirn schien sich alles wie eine schwammige Masse durcheinanderzubewegen. Oder ich vergaß nach zwei Sätzen, was ich gerade gelesen hatte. Bei Filmen habe ich oft nur zehn Minuten durchgehalten, bevor ich todmüde war. Häufig musste ich Szenen drei-, vier-, fünfmal zurückspulen, weil ich den Inhalt nicht mitbekommen hatte. Jetzt schaue ich durchaus schonmal eine Stunde am Stück, bevor Konzentrationsschwäche und Kopfschmerzen einsetzen, und – so denke ich zumindest – kann mich an den Inhalt der Folge erinnern. So weit, so gut. Post-Covid wäre aber nicht Post-Covid, wenn jetzt, im sechsten Monat nach der Infektion, schon alles wunderbar wäre.
Die lahme Ente
Mein Gesamtzustand lässt sich noch immer ganz gut vergleichen mit dem eines altersschwachen Menschen. Wie sagte meine Mutter kürzlich so schön, als ich ihr am Telefon von meinem durchschnittlichen, äußerst unspektakulären, Tagesablauf berichtete: „Kind – weißt du, so geht es uns alten Leuten häufig“; nur dass ich halt erst 50 bin und meine Eltern 78 und 87. Außerdem war ich vor der Erkrankung ein schönes Beispiel für einen topfitten, gesundheitsbewussten, aktiven und sozial gut integrierten Menschen – Sie wissen schon: Nichtraucherin aus Überzeugung, kein Alkohol, Biofutter, Vegetarierin seit 38 Jahren, ehrenamtlich tätig, netter Freundeskreis, tägliche Bewegung an der frischen Luft, einmal die Woche munter beim Zumba-Training etc. – eben das ganze Programm. Geholfen hat´s nicht gegen Long Covid, scheint aber den Genesungsprozess zumindest zu befördern, denn immerhin muss ich keine Medikamente einnehmen, im Gegensatz zu so vielen anderen.
Wie es sich so lebt als lahme Ente? Nun: Ich brauche morgens ein bis zwei Stunden Anlaufzeit, bis ich aufgestanden und einigermaßen tagestauglich bin. Denn: Mein Schlaf war in der Regel nicht erholsam (siehe oben). Meist quäle ich mich bleischwer ins Badezimmer. Dort versuche ich dann, meine Morgenroutine abzuspulen.
Der Finger-Test
Da meine Konzentration aber immer noch häufig eingeschränkt ist, frage ich mich dann zum Beispiel nach jedem einzelnen Vorgang, ob ich jetzt gerade schon mein Gesicht gewaschen, mein Deo benutzt oder mich eingecremt habe. Meist muss ich dann mit dem Finger testen, ob dem so ist. „Handtuch nass“ bedeutet dann: „Gesicht gewaschen“, denn an den Vorgang selbst kann ich mich an schlechten Tagen nicht erinnern. An guten zum Glück schon.
Und so geht es dann weiter: Ich laufe fünfmal hin und her, bis ich alle Kleidungsstücke und meine Brille zusammengesucht habe – selbst dann, wenn ich am Abend vorher alles herausgelegt habe, denn dabei habe ich garantiert 1 – 2 Dinge vergessen. Dadurch bin ich dann schon vor dem Frühstück oft so erschöpft, dass ich mich erst eine Weile im Sitzen ausruhen muss, bis ich mit dem Hund losgehen kann. Alles, was sonst vor und nach meinem Vollzeit-Job so nebenbei lief, füllt jetzt dank der Unkonzentriertheit und Schlappheit meinen gesamten Tag aus; und ganz schnell ist dann schon wieder Zeit zum Abendessen, ohne dass wirklich viel Erwähnenswertes passiert wäre.
Dank einer Selbsthilfegruppe auf Facebook und einiger Internet-Recherchen habe ich den Begriff „Fatigue“ kennengelernt und weiß jetzt, dass diese tiefgreifende Erschöpfung eine typische Begleiterscheinung von Long oder Post-Covidist: Du konzentrierst dich eine halbe Stunde lang intensiv auf etwas und musst dich danach anderthalb Stunde hinlegen, um die mentale Anstrengung zu verdauen. Du gehst gemächlich eine halbe Stunde mit dem Hund und bist anschließend so erledigt wie früher nicht nach einer Stunde Zumba oder langen Wanderungen. Du unterhältst dich ein Stündchen nett mit einer Freundin, die dich besucht, und bist danach für Stunden lahmgelegt – mit Kopfschmerzen, Schwindel, Atemenge und Herzstolpern. Du schaffst es einmal die Woche die 300 m in den Bioladen um die Ecke zu gehen und bist stolz auf dich, dass du dort sogar noch Energie für zwei muntere Sätze an der Kasse hattest. Danach schleppst du dich zu Hause die Treppe in den ersten Stock hoch, schaffst es mit letzter Kraft, die Einkäufe in den Kühlschrank zu stellen und musst dich erst einmal für anderthalb Stunden hinlegen.
Tricks, um Energie zu sparen
Allmählich verfügst du über ein unglaubliches Repertoire an Tricks, wie du mit wenig Energie durch den Tag kommst: Du telefonierst höchstens einmal am Tag, und das im Liegen mit geschlossenen Augen. Texte diktierst du liegend in dein Smartphone, statt sie sitzend am PC zu schreiben. Wann immer es geht, setzt du dich hin, statt zu stehen. Du kaufst direinen Rasensprenger, weil du an manchen Tagen keine 5-Liter-Gießkanne anheben kannst. Du rollerst auf einem Tretroller neben dem Hund her, weil du dadurch Kraft einsparst und der Hund mehr Auslauf bekommt. Du lernst, alles, was nicht „brennt“, tagelang liegenzulassen und ignorierst die Woll- und Fellmäuse, die sich auf deinem Fußboden ansammeln, bis es gar nicht mehr anders geht. An dem Tag, an dem du dann staubsaugst, planst du keinen Einkauf ein. Sowieso nimmst du nicht mehr als drei Terminepro Woche an und lässt vor und nach einem Arzttermin jeweils einen Tag komplett frei, um dich von der Anstrengung zu erholen. Du lernst, ob es dir gefällt oder nicht, Hilfe anzunehmen.
So fahren mich Freunde zum Arzt, damit ich nicht an der Bushaltestelle warten muss, und meine beste Freundin erledigt seit Monaten den Wocheneinkauf für mich. Den Rest shoppe ich nach Möglichkeit online vom Sofa aus – natürlich liegend, um Energie zu sparen. Während ich manchmal bedauere, alleinerziehende Hundehalterin zu seinund die Hunderunden nicht ab und zu delegieren zu können, bin ich dankbar, dass ich in diesem Zustand nicht auch noch eine Familie versorgen muss. Betroffene Eltern gehen hier vermutlich durch die Hölle. Ein Regennachmittag wiederum lässt mich jubilieren, denn dann spare ich dank meines regenscheuen Hundes eine Hunderunde ein und muss auch den Garten nicht gießen. Das sind dann die Tage, an denen ich dafür mit der eingesparten Energie ein bisschen putzen kann.
Ich bin insgesamt auch schon wieder vergleichsweise fit, was die Fatigue angeht, denn viele Post-Covid-Patient*innen können tagelang kaum aus dem Bett aufstehen. Ich hingegen schaffe meistens schon wieder zwei Hunderunden pro Tag und kann dazwischen einigermaßen meinen Haushalt bewältigen und im Garten gelegentlich die Blumen gießen. Was leider noch nicht geht – wir mussten einen entsprechenden mehrwöchigen Versuch abbrechen, weil ich kollabiert bin – ist Arbeiten.
Das verdammte Gedächtnis
Eigentlich arbeite ich acht Stunden pro Tag konzentriert und gern im Büro bzw. Home-Office und habe dabei ständig 20 Bälle in der Luft. Jetzt brauche ich mehrere Anläufe, um kleine Rechenaufgaben im Kopf zu lösen, und habe Mühe, Aufgaben im Haus einigermaßen zu priorisieren und mich im Tagesverlauf dann auch noch an diese Priorisierung zu erinnern. Es wird, wie gesagt, unterm Strich langsam besser, reicht aber noch nicht für einen Büro-Alltag aus, bei dem sich Menschen auf mich verlassen können müssen, und bei dem es eben nicht egal ist, ob ich Vorgänge priorisieren kann oder nicht. Manchmal fallen mir auch Namen nicht mehr ein. Das hatte ich früher zwar auch schonmanchmal, allerdings nur dann, wenn ich die Personenjahrelang nicht gesehen hatte. Kürzlich musste ich hingegen den Namen meiner Nachbarin Gerlind mehrfach einkreisen, bis ich ihn parat hatte.
Mein Kopf lieferte mir „Gertrud“, „Hiltrud“ und Ähnliches, wobei ich genau wusste, dass diese Versionen falsch waren. Erst im fünften Anlauf kam ich dann auf „Gerlind“. Oder vor einigen Wochen diese peinliche Sache mit der WhatsApp von Andrea… Ich bekomme also eine WhatsApp von Andrea. Ich starre auf mein Smartphone und mein Hirn fragt sich in Zeitlupe: „Andrea? Was für eine Andrea?“ Ich kreise einige Minuten um diese bizarre Frage, und mir will partout keine Antwort einfallen. Schließlich komme ich auf die Idee, die Nachricht einfach zu öffnen, und lobe mich für diesen spontanen Einfall. Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: meine langjährige Freundin Andrea, mit der ich mich eine Woche zuvor noch nett unterhalten hatte. Fünf Minuten später, als ich – erschüttert über mich selbst – so da sitze, fällt mir eine weitere Freundin namens Andrea ein. Ich beschließe, beiden niemals davon zu erzählen. Mit Pech lesen sie es jetzt hier. Und – sage und schreibe – drei Wochen später komme ich darauf, dass ich ja noch eine dritte Andrea kenne, mit der ich schon so manches Mal mit dem Hund spaziert bin, und die ich sehr nett finde.
Ein Hirn im Nebel
Mein Hirn gleicht demnach manchmal einem unberechenbaren Sieb. Es hat sich über viele Wochen hinweg in einem kompletten Nebel-Zustand befunden, in dem Zeit und Raum sich zu einer undefinierbaren Masse verändert hatten. Dieser Nebel hat sich glücklicherweise mittlerweile verzogen, und ich fühle mich wieder einigermaßen „normal“und wie ich selbst, nur ist mein Kopf noch sehr eingeschränkt belastbar. Maximal ein bis zwei Stunden pro Tag kann ichmich mittlerweile wieder an etwas heranwagen, was mich geistig fordert – also zum Beispiel an diesen Text. Spätestens dann summt und piept mein gesamter Kopf dank eines Rundum-Tinnitus, den ich seit der Infektion in unterschiedlicher Intensität habe. Wenn ich nicht rechtzeitigmit der Tätigkeit aufhöre, folgen Übelkeit, stechende Kopfschmerzen und die Notwendigkeit, für viele Stunden keinerlei Anstrengung mehr mit dem Hirn zu unternehmen. Will heißen: Wenn ich jetzt am Rechner sitze, kann ich in den nächsten Stunden nicht auch noch telefonieren, lesen oder mich eine Stunde lang mit jemandem unterhalten. Ich muss da brutalst priorisieren oder die Folgen tagelang schmerzlich ausbaden. Im Falle dieses Textes hier ist es das jedoch wert. Ich erfülle ja gerade einen missionarischen Auftrag, damit Sie eine Covid-Infektion nicht auf die leichte Schulter nehmen. 😉
Was hilft
Falls Sie selbst betroffen sind oder jemanden kennen, der mit einer Reihe unerklärlicher Symptome kämpft, die sich auf nichts anderes zurückführen lassen, sollten Sie Long Covid in Betracht ziehen – auch dann, wenn Sie einen leichten Verlauf hatten und es Ihnen eine Zeitlang ganz gut zu gehen schien. Der erste Weg führt auf jeden Fall zu Ihrem Hausarzt, der Sie ggf. zu weiteren Checks an Fachärzt*innen verweist. Auch Heilpraktiker*innen, Physiotherapeut*innen, TCM-Praktizierende, Atemtherapeut*innen und viele andereHeilkundliche können sehr hilfreich sein, um die Symptome anzugehen, die äußerst unterschiedlich sein können. Viele dieser Behandlungen müssen Sie aber womöglich selbst bezahlen.
Ich kann Ihnen versichern, dass Sie dennoch alles Mögliche versuchen werden, um nicht monatelang wie ein Wrack herumzuhängen. Eine sehr gute Informationsquelle für Betroffene und Angehörige, die auch seelisch-moralischen Beistand bietet, ist zum Beispiel die Facebook-Selbsthilfegruppe „Long Covid Deutschland“(www.longcoviddeutschland.org). Und zum Thema „postvirale Fatigue“ gibt es zum Beispiel auf www.cfs-aktuell.de eine hilfreiche Handreichung für Betroffene. Auch die „Spoon Theory“ sollten Sie mal googeln, um zu verstehen, wie es Betroffenen geht. Fast alle Behandlungen beruhenzurzeit noch auf dem Prinzip Trial and Error: Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, Vitamin- oder Sauerstoff-Infusionen erhalten, Konzentrationsübungen durchführen, striktes „Pacing“ gegen die Fatigue, ein Symptom-Tagebuch führen (geht einfach mit der App „Data4Life“), eine spezielle Reha beantragen und einfach immer wieder gut auf sich hören und ruhen, wenn der Körper nach Ruhe verlangt.
Zugleich müssen Sie versuchen, Ihre Grenzen über die Monate hinweg wieder auszuweiten. Das ist eine echte Gratwanderung mit harten Rückschlägen zwischendurch – den sogenannten „Crashs“. Mit etwas Glück geht es dann über die Monate hinweg hinaus aus dem Tal der Tränen. Mit noch mehr Glück gehören Sie zu denjenigen, denen eine Impfung schlagartig zu einem Genesungsschub verhilft. Auch das gibt es. Ich halte Ihnen jedenfalls die Daumen und wünsche mir für mich selbst, dass ich keinen dritten Post-Covid-Artikel für Sie schreiben muss.
Von Susanne Schumacher
Gehen denn wenigstens hier die Schritte nach vorn?
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Ich hatte mich nach der 2. Impfung einen Tag lang wie ein gichtkranker Säufer gefühlt: alle Gelenke schmerzten derart, das selbst Kugelschreiber „bedienen“ fast unmöglich war. Zum Glück nur einen Tag.
Schlagen keine Methoden zur Behandlung anderer Autoimunkranheiten an? Die diffusen Symptome sind doch anscheinend Resultat eines „amoklaufenden Immunsystems“? Oder was sagt der Arzt?
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ich habe vor jeder impfung als einziger eine ibu… genommen und hatte gar keine nebenwirkungen. übrigens als einziger der familie von 5 erwachsenen, schmunzeln.
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tja, gegen dummheit kann man sich leider nicht impfen lassen. ich hatte ein langes gespräch mit einem verkaufsfahrer von bofrost. er erklärte mir, sich nicht impfen zu lassen. seine begründungen waren die der sogenannten querdenker, weltfremd und verschwörungstheoretisch. darauf hin habe ich bei bofrost angerufen und ihnen gesagt: ich werde keinen impfverweiger vor meiner haustür dulden. und tatsächlich hat bofrost reagiert und mir einen anderen verkaufsfahrer geschickt. nun sollte man hier noch wissen, ich habe den impfverweiger gemocht, er hat mich jahrelang gut bedient. er kommt gebürtig aus einem land ,wo es moslems in der überzahl gibt und er selbst eben als christ in der minderzahl war. dort war impfen eben nicht üblich. ich habe ihn gewarnt, dass die gesellschaft in deutschland sich nicht auf die dauer auf der nase rumtanzen lassen wird. er wird die konsequenz für sein verhalten allein tragen müssen. und es wird teuer für ihn. vielleicht kommt er ja noch zu einem anderen verhalten und hilft dabei die pandemie zu beenden, anstatt sie am leben zu erhalten.
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